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Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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Natürlich gibt es noch andere Bezeichnungen dafür. Die Kirche spricht von der Berührung Gottes, die einem Menschen übernatürliche Kräfte verleiht. Die Ureinwohner Südamerikas glauben daran, dass die Geister ihrer Ahnen in sie fahren. Aber ganz gleich, wie man es nennt: Es handelt sich um eine äußerst machtvolle und gefährliche Kraft, die einen zerstören kann, wenn man nicht lernt, mit ihr umzugehen.«
    Die Frau richtete ihre schwarzvernebelten Augen auf ihn. »Bringen Sie es mir bei«, forderte sie. Er spürte, dass geistige Fühler kraftvoll, wenn auch unbeholfen nach seinem Bewusstsein tasteten.
    Energisch schob er sie beiseite.
    »Das werde ich«, versprach Wellington, »wenn Sie bereit sind, meiner Anleitung zu folgen.« Er legte eine leichte Strenge in seine Worte. Tisiphone mochte vor Kurzem noch eine anständige Dame der Londoner Gesellschaft gewesen sein, ihre unglaubliche Reise durch die Sphäre der Magie hatte jedoch ihren Geist zerrüttet. In seinen Augen war sie wie ein Kind, das eine lenkende Hand brauchte.
    »Ich binde mich an keinen Mann mehr!«, fauchte Tisiphone. »Der letzte, dem ich mich anvertraute, ließ mich sterben!«
    Als sie aufspringen wollte, sah Wellington den Moment gekommen, seiner Position etwas mehr Nachdruck zu verleihen. »Ich bin kein gewöhnlicher Mann!«, donnerte er, während er sich erhob, in die Wahrsicht wechselte und Tisiphone die rechte Hand entgegenstreckte. Starke Fadenbündel schossen aus ihr hervor und pressten die aufbegehrende Frau auf den Stuhl zurück. Er beschloss, das Risiko einzugehen und alles auf eine Karte zu setzen, indem er in die zweite Sphäre eintrat und mit seinem Geist ihre nicht nennenswerten mentalen Mauern bestürmte. Ich bin Victor Mordred Wellington, der Erste Lordmagier von England und Beherrscher der Wahren Quelle der Magie!
    So schnell sein Angriff erfolgt war, so schnell zog er sich wieder zurück. Er setzte ein mildes Lächeln auf. »Und ich kann Ihnen zu Ihrer Rache verhelfen, wenn Sie bereit sind, sich mit mir zu verbünden.« Er löste die Fadenfesseln und bot ihr stattdessen die Hand. »Was sagen Sie, Tisiphone? Wollen wir gemeinsam unsere Feinde zerschmettern?«
    Die Frau war aufgesprungen, kaum dass er sie losgelassen hatte, und funkelte ihn nun wütend an. Aber Wellington sah auch noch mehr in ihren Zügen. Ein Hauch von Ehrfurcht hatte sich darin eingeschlichen. Innerlich gestattete er sich ein zufriedenes Lächeln. Offensichtlich hatte er sein Ziel erreicht.
    »Sie werden mir zu meiner Rache an dem vermummten Mann und Jonathan verhelfen?«, vergewisserte sich Tisiphone in einem letzten winzigen Aufbäumen von Widerstand.
    »So wahr ich hier vor Ihnen stehe«, versicherte Wellington ihr. Was war schon das Leben zweier Männer im Austausch für eine lebende Waffe wie diese? Und obendrein … Jonathan … ? Konnte es sein, dass dieser Name kein Zufall war?
    »Dann folge ich Ihnen … für den Moment.« Sie ergriff seine ausgestreckte Hand. Ihre graue Haut war heiß und trocken, als litte sie unter Fieber. »Wann beginnen wir?«
    »Schon morgen früh«, erwiderte Wellington. »Bis dahin muss ich noch einige Dinge klären. Gehen Sie nach draußen; schauen Sie sich um. Sie dürfen sich überall frei bewegen. Wenn Sie Hunger bekommen, wenden Sie sich an Hyde-White. Wenn Sie Ihre Kräfte üben wollen, nutzen Sie die Ruinen. Aber tun Sie keinem der Ordensmitglieder etwas zuleide!«
    »Ich töte nur, wenn jemand den Tod verdient hat«, verkündete Tisiphone stolz.
    Wellington war sich da nicht so sicher, aber mehr, als sie zu ermahnen, konnte er im Augenblick nicht tun. Er würde ein paar der Quellhüter bitten, sie im Auge zu behalten. Mit einem Nicken bedeutete er Tisiphone, dass dieses Gespräch beendet war. »Dann sehen wir uns morgen früh. Ich freue mich auf unser gemeinsames Wirken.«
    Sie schenkte ihm zum Abschied ein raubtierartiges Zähneblecken, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verließ den Raum.
    Wellington blieb allein zurück. Still lächelte er in sich hinein. Mit der Rückkehr seines alten Freundes Polidori und danach dem Auftauchen der zornigen Tisiphone hatte der Tag wirklich seinen Abschluss in einem Abend gefunden, den man loben konnte. Wäre der Erste Lordmagier ein Mensch gewesen, der an gute Omen glaubte, hätte er zu dem Schluss kommen können, dass irgendeine göttliche Macht von ihm wollte, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen.
    25. April 1897, 23:44 Uhr GMT
    Atlantik, etwa 170 Seemeilen

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