Magiermacht (Mithgar 05)
durch den tiefen Spalt und donnerte dann in das kochende Becken in der Tiefe. Die vier ritten unter dem Wasserfall hindurch. Die versteckten Stufen waren mit Wasser überspült, aber die Pferde waren trittsicher. Keines von ihnen kam auch nur ins Straucheln. Aber als sie den Spalt am unteren Ende erreicht hatten, waren Pferde und Reiter tropfnass von der wirbelnden Gischt.
Sie suchten zwischen spitzen Felsnadeln einen Weg zu dem Wall, von dem aus sie zwischen die schützenden Kiefern ritten und sich im Wald nach Süden hielten. Das Geräusch des Wasserfalls hinter ihnen ebbte mit zunehmender Entfernung ab.
Kaum eine Meile weiter südlich schwenkte der Virfla oder Tumbel, wie der Fluss in der Gemeinsprache hieß, nach Westen ab. Die vier folgten jedoch nicht seinem Lauf, sondern ritten weiter nach Süden. Sie überquerten die Querlandstraße, die sich zum Grimmwall emporschlängelte, und zogen weiter, bis sie die Hügellandschaft von Rell erreichten.
Tipperton hielt seinen Elfenbogen in der Hand und hatte seinen Köcher an den Schenkel geschnallt. Er schaute nach Osten, wo sich das Grimmwall-Massiv erhob. Die Nachmittagssonne tauchte diese steinerne Barriere, die zwischen ihm und seinem Ziel stand, in blutrotes Licht. Dann schaute er nach Westen, wo unsichtbar hinter dem Horizont der Furcht einflößende Ödwald lag. Im Norden stürzten sich die silbernen Fluten der Arden-Fälle über die hohe Klippe. Jetzt ließen sie das Tal jenseits der silbrigen Gischt, den sicheren Hafen, hinter sich. Als Letztes schaute der Bokker nach Süden, über die weite, hügelige Landschaft, … bis wohin? Wer wusste das schon? In eine unbekannte Zukunft, nur das war sicher. Tipperton packte seinen Bogen fester, und ein leises Frösteln überlief ihn, ohne dass er wusste, aus welchem Grund.
Beau schien das Gleiche zu spüren, denn er hatte endlich aufgehört, von Niesern und dem Mond zu plappern.
20. Kapitel
Sie ritten über die Hügel nach Süden und ließen die Querlandstraße zehn Meilen hinter sich, bevor sie in einem kleinen Hain ein Lager aufschlugen. Wie zuvor kümmerten sich Phais und Loric um die Pferde, während Tipperton und Beau die Lichtung von Steinen und Zweigen befreiten und die Schlafrollen ausbreiteten. Doch in dieser Nacht entzündeten sie kein Feuer, weil das Wäldchen so klein war, dass es das Licht des Feuers nicht genügend abgeschirmt hätte.
Loric und Phais gaben den Tieren Hafer aus ihren frisch aufgefüllten Vorräten. Denn bevor sie von ihrem Lager unter dem Greisenbaum aufgebrochen waren, hatte Alaria ihnen den Hafer ersetzt, den die Pferde bei ihrer Reise durch das Tal gefressen hatten. Außerdem hatte sie auch die Vorräte der Reiter erneuert, und ihnen getrocknete Früchte, Gemüse, Tee, Dörrfleisch und Mian mitgegeben, die Hauptnahrung der elfischen Wanderer.
Bei seiner Wache stand Tipperton am Rand des Hains und spähte durch das Zwielicht gen Süden. Er versuchte, mit seinen schimmernden Augen die aufsteigende Dunkelheit zu durchdringen. Der abnehmende Viertelmond war schon längst hinter dem Horizont versunken, und die Sterne waren noch nicht aufgegangen. Trotzdem hob sich der Grimmwall wie eine dunkle Mauer gegen die Dämmerung ab. Das Massiv war höchstens noch zwanzig Meilen entfernt. Aber Tipperton war mit seinen Gedanken woanders. Er dachte weder an die Berge im Osten noch an den Ödwald im Westen oder an das Ardental. Stattdessen dachte er an den Süden, wo ein unbekanntes Schicksal auf ihn und seine Gefährten wartete.
Phais tauchte hinter dem Bokker auf und gesellte sich zu ihm. Eine lange Zeit sagten die beiden nichts, bis Tipperton das Schweigen brach. »Stimmt es, Lady, dass alles irgendwie miteinander zusammenhängt?«
Phais sah den Wurrling fragend an. »Was glaubt Ihr denn?«
»Beau hat gestern und heute den ganzen Tag die wildesten Geschichten erzählt, wie ein scheinbar unbedeutender Vorfall zu einer Zeit und an einem Ort irgendwann großen Schaden anderswo anrichten könnte. Am Anfang hat er sich noch zurückgehalten und sich lediglich ausgemalt, wie zufällige Zusammentreffen am Ende in Ehen und Familien münden können. Das kann ich ja noch nachvollziehen. Dann jedoch sprach er davon, wie Löwenzahnsamen eine Lawine auf einem fernen Gebirge auslösen könnte. Allmählich wurden die Konsequenzen der Ereignisse immer gewaltiger, bis schließlich ein völlig unbedeutender Vorfall an einer Stelle am Ende woanders eine ungeheure Katastrophe bewirkte. Zum Beispiel, wenn
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