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Magische Insel

Titel: Magische Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. E. Modesitt
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erblickt.«
    Justen seufzte. »Was ist der physikalische Vorgang des Sehens? Hat dir das niemand beigebracht?«
    Ich schaute ihn so verwirrt an, wie ich mich fühlte. Ich hatte keine Ahnung, was in seinem Kopf vorging.
    »Von der Sonne kommt Licht – chaotisches weißes Licht. Es fällt auf einen Gegenstand und wird von ihm reflektiert. Dieser Akt der Reflexion ordnet das Licht teilweise. Die reflektierten Strahlen dringen in deine Augen ein. Du siehst nicht den Gegenstand, sondern das Licht, das von diesem Gegenstand reflektiert. Deshalb kannst du nichts sehen, wenn es kein Licht gibt. Eigentlich ist es nicht ganz so einfach, aber das sind die Grundlagen. Verstehst du, was ich meine?«
    Also, so schwer von Begriff war ich doch nicht! »Selbstverständlich! Meine Augen sehen die Reflexion der Realität, nicht die Realität selbst. Das bedeutet: Wenn ich Dinge fühle, könnte dieses Gefühl echter sein als das, was ich sehe.«
    Justen nickte, ohne mich anzuschauen. Seine Augen blieben auf die Straße geheftet. »Bedenke, dass reale Dinge nicht gefühlt werden können. Und viele vom Chaos berührte Dinge sind nicht real, können aber dennoch verletzen. Doch du hast recht.« Wieder räusperte er sich. »Es gibt viele Möglichkeiten, nicht gesehen zu werden, aber allen diesen Möglichkeiten liegen zwei Ideen zugrunde. Die erste, die Gedanken von jemanden so berühren, dass dieser nicht weiß, dass er etwas gesehen hat. Das ist die Chaos-Methode, weil sie die Verbindung zwischen Wahrnehmung und Realität zerstört.«
    »Und die Ordnungs-Methode?«
    »… ist viel komplizierter …«
    Ich nickte. Alles, was mit Ordnung zu tun hatte, war komplizierter.
    »Licht läuft nicht so gerade wie ein Pfeil, sondern ähnelt mehr einer Welle auf dem Meer. Licht kann mit dem Verstand verwoben werden, obgleich dies Übung erfordert. Du webst das Licht so um dich, dass es dich nie direkt berührt. Eigentlich ist es nicht schwierig, wenn man nur übt, doch setzt man es im Ernstfall ein, kann es sehr gefährlich sein, wenn deine nichtvisuellen Wahrnehmungen nicht sehr gut entwickelt sind.«
    »Nichtvisuelle Wahrnehmungen?« Gerade als ich den Begriff zu verstehen glaubte, fügte er noch etwas hinzu.
    »Das, was du ›Dinge erspüren‹ nennst …«
    »Oh … aber warum?«
    Justen schüttelte den Kopf und murmelte etwas über die Grundlagen der Physiologie und die Wellentheorie.
    Wir ritten schweigend zu einer sanften Anhöhe hinauf, von der aus man über eine Parklandschaft sah, die ganz anders war als die Meilen und Meilen der Bauernfelder, Schweinepferche und Katen, an denen wir bisher vorbeigekommen waren. Da fragte ich ihn nochmals.
    »Lerris, warum benutzt du nicht deinen Verstand? Der ist nämlich zum Denken bestimmt.«
    Ich wartete.
    »Wenn du dich vom Licht abtrennst, sehen deine Augen auch nicht mehr. Keine weiteren leichten Antworten. Du stellst lieber Fragen, als selbst den Dingen auf den Grund zu gehen, und dann wirst du dich auch nicht daran erinnern.«
    Wir ritten weiter. Ich überhörte das ständige Knurren meines Magens.

 
XXXIV
     
    J ellico? Wie unterschied es sich von Freistadt, Hrisbarg, Howlett oder den anderen Dörfern oder Städten, die sich eine Maske von Bedeutsamkeit angelegt hatten?
    Obgleich ich kein Fachmann in der Beurteilung von Menschen oder Städten war (wie mir immer schmerzlicher bewusst wurde), fiel mir auf, dass Jellico im Gegensatz zu Hrisbarg oder Howlett oder Weevett Stadtmauern hatte. Diese Mauern erhoben sich über dreißig Ellen hoch und waren in tadellosem Zustand. Die massiven Eisenangeln des Osttores waren geölt und sauber. Die Nischen, in denen die Torflügel verankert waren, und die Steine, in die sie gemeißelt waren, waren sauber ausgefegt.
    Eine ganze Abteilung Soldaten – zwölf Männer in grauem Leder – patrouillierten am Tor und befragten jeden Reisenden und jeden Bürger, der hinein oder hinaus wollte.
    »Meister Magier, hat Euch der Weg wieder einmal hierher geführt?« Die Stimme des Feldwebels klang fest und respektvoll, doch keineswegs unterwürfig. Sie passte zum grauen Leder seiner Weste, der Hose und den blankgeputzten schweren Stiefeln.
    Zwei Soldaten beluden einen Bauernkarren, der von einem Esel gezogen wurde, mit Ballen und Körben. Ein dritter hielt die Zügel. Ein anderer Soldat sah einem Bettler zu, der sein Bündel auf einem alten Fichtenholztisch neben dem Tor ausleerte.
    Auf der Mauer über dem Tor sah man hinter den Zinnen zwei Armbrustschützen, die den

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