Magische Insel
können. Aber hinter dieser scheinbaren Zerbrechlichkeit war Eisen zu spüren. Das hatte ich entdeckt, als sie mit einer Kaufmannsfrau über Gardinen feilschte.
»Ja, Zeit für eine Pause«, sagte Destrin.
Deirdre setzte uns eine herzhafte Graupensuppe mit frisch gebackenen Brötchen vor. Kochen konnte sie. Und sie lächelte immer scheu und freundlich.
Am Abend setzte ich mich auf mein schmales Bett, lehnte den Rücken an die Ziegelmauer und holte Die Basis der Ordnung hervor. Das dünne Büchlein sah schon recht mitgenommen aus. Vielleicht weil ich es bereits zweimal gelesen hatte.
Doch leider war lesen nicht gleichbedeutend mit begreifen. Manche Dinge waren leicht, wie die Sache mit den Schafen oder Destrins Körper etwas Kraft zu verleihen, um gegen die Schwindsucht zu kämpfen. Ich begriff, wie die Krankheit Destrin zerstörte, aber dagegen konnte ich nichts tun. Sicher, nach meinem Eingreifen sah Destrin besser aus, aber trotz meiner Bemühungen würde er langsam, aber sicher sterben.
Selbst die verfluchte Einleitung half nicht: »Lernen, ohne zu verstehen, steigert nur die Enttäuschung des Ungeduldigen …«
Oder: »… Alle Dinge sind nicht möglich, auch nicht für die Größten …«
Großartig, einfach großartig.
Ich schloss das Buch.
Zu viele Fragen nagten an mir, selbst als ich mich weiter durch die verfluchte Basis der Ordnung kämpfte. Zuweilen saß ich im Schein der Lampe und blieb länger wach, als mir gut tat. Mir war bewusst, dass am nächsten Morgen die Augen brennen würden, aber ich kämpfte weiter mit Widersprüchen und Vieldeutigkeiten.
Ich konnte das Buch nicht von vorn bis hinten durchlesen. Das hatte ich frühzeitig aufgegeben. Deshalb las ich zuerst die hinteren Teile, die sich mit der Mechanik der Ordnung befassten. Einige Anleitungen probierte ich aus, wie zum Beispiel Metalle auszurichten, um sie zu stärken oder ihre charakteristischen Eigenschaften zu ändern. Diese Versuche wurden nach einiger Übung leichter, zumindest bei Nägeln.
Mit Hilfe einer Kerze als Brenner und eines Topfs Wasser begriff ich, wie sich Wetterveränderungen vollzogen … so einigermaßen. Angst machten mir nur die vielen Warnungen vor großen Stürmen, die zu späteren Ernten und zu Dürren andernorts führen konnten. Aber der Topf mit Wasser über der Kerze würde nichts verändern, höchstens die Luft in der Werkstatt befeuchten, und das schadete dem Holz nicht.
So saß ich also da und bemühte mich zu begreifen, was ich gelernt hatte … oder gelernt zu haben glaubte … und wurde mir bewusst, dass einige Dinge nicht möglich waren … nicht einmal für Ordnungs-Meister.
Im Schatten bewegte sich etwas. Ich hörte leise Schritte.
Deirdre schob die Vorhänge meines Alkovens zurück. Wie lange sie dort gestanden hatte, wusste ich nicht, aber ihre dunklen Augen fielen auf das Buch und dann mich.
Ich trug nur meine kurze Unterhose.
»Du kannst hereinkommen, Deirdre.«
Das tat sie, aber nur einen Schritt. Sie trug einen alten, kastanienbraunen, wollenen Hausmantel über einem weißen Hemd; das schulterlange Haar hatte sie zurückgebunden.
»Lerris?«
»Ja?« Ich schwang die Beine vom Bett und stellte sie auf den Boden.
»Warst du früher ein Priester?« Ihre Stimme war weich, wie immer. Nicht verschüchtert, nur weich.
Ich antwortete nicht. Sie setzte sich stumm auf das Bettende. Ein Hauch von Rosenduft drang zu mir.
»Konntest du nicht schlafen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich mache mir Sorgen wegen Papa.«
»Ich auch.«
»Ich weiß …« Sie rutschte ein Stückchen näher. »Er weiß es. Er schweigt.« Sie legte mir die schlanke Hand auf den Unterarm. Ihre Finger fühlten sich kühl an. Ich schluckte und bekämpfte den Wunsch, sie in die Arme zu nehmen.
»Lerris …« Sie kam noch etwas näher.
Ich bemühte mich, nicht zu zittern. Es war lange her, seit ich eine Frau in den Armen gehalten hatte. Viel zu lange.
»Bitte … bleib … alles, was du willst …« Jetzt saß sie dicht neben mir. Ich spürte, wie sie im Innern zitterte, aber nicht aus sinnlicher Begierde.
Ich holte tief Luft und entfernte ihre Hand. »Deirdre … ich werde für deinen Vater alles tun, was in meiner Macht steht.« Ich holte nochmals Luft. »Ich nähme dich wirklich gern in die Arme – und noch mehr. Aber das wäre nicht anständig dir und deinem Vater gegenüber.« Dann lächelte ich gequält. »Und wenn du noch lange so nahe bei mir sitzt, fällt es mir sehr schwer, mich zurückzuhalten.« Das meinte
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