Magische Insel
dunkelblauen Wasser des Hafens. Die gepflasterte Hauptstraße war über zehn Ellen breit. Auf dem ersten Kai, der der Hafenmündung am nächsten und am weitesten vom Marktplatz entfernt war, lag ein großes Dampfschiff mit Stahlrumpf und zwei hohen Masten. Ein dünnes Rauchwölkchen stieg aus dem Schornstein auf. Ich kannte das Nationalitätszeichen nicht genau, glaubte aber, dass die goldene Krone auf dem blaugrünen Hintergrund auf Nordla deutete.
Ein halbes Dutzend Wagen wartete mit verschieden großen Holzkisten darauf, dass der Schiffskran sie in eine offene Luke beförderte. Ich konnte nicht sehen, was sich in den Kisten befand. Langsam ging ich auf die Pier zu. Es gab zwar ein kleines Wachhaus aus Stein. Der Raum war blitzsauber, aber leer. Doch nirgends sah ich einen Wachposten.
Klick … klick … hallten meine Stiefel auf dem glatten Pflaster. Dampf zischte aus einem kleinen Traktor, der vor die Wagen gespannt war, die Bauernkarren ähnelten und beinahe zehn Ellen lang waren. Die Seitenwände bildeten glatt gehobelte Roteichenbretter, die von Stahlkrammen zusammengehalten wurden.
»Halt, bleib stehen!« Eine Frau in schwarzem Overall, die ich gar nicht gesehen hatte, winkte mir und deutete aufs Schiff.
Der Kran hob in einem Netz zwei Kisten vom vorletzten Wagen. Der letzte Wagen war bereits entladen.
Die Frau schritt entschlossen auf mich zu. Sie war beinahe so groß wie ich und hatte dunkle Haare und fast so breite Schultern wie ich. Sie lächelte. »Du bist wohl neu in Nylan. Gefahrenbrigade?«
Ich nickte.
»Wir laden gerade Möbel. Das Schiff ist die Kaiserin – aus Brysta, Nordla-Linie. Ich bin Caron.«
»Ist das deine Aufgabe in der Brigade?« platzte ich heraus.
Sie lachte. »Nicht ganz. Angefangen habe ich als Zahlmeisterin auf den Schiffen der Bruderschaft, aber ewig auf See zu sein ist mehr als öde. Mir macht es mehr Spaß, mich um die Ladung zu kümmern, vor allem den Stauraum zu berechnen …
Entschuldigung.« Sie lief zum Wagen und schob zwei Kisten ins Netz, ohne dabei ins Schwitzen zu geraten.
Das Netz hob sich, und Caron kam zurück. »Ja, so bin ich hier gelandet. Ich habe auch noch einen kleinen Hof in der Nähe von Sigil, in den Hügeln nördlich der Hohen Straße. Dort verbringe ich meine Freizeit.«
»Aber … brauchst du beim Laden all dieser Schiffe keine Hilfe?«
»Wir sind zu viert. Das reicht. Wir haben nicht viel Stückgut. Die wirtschaftliche Lage ist wegen der Zwangsarbeit und der Sklaverei nicht gerade die beste.«
Das Netz senkte sich. Nachdenklich blickte ich Caron nach, als sie wieder zum Wagen ging. Caron war ungewöhnlich aufgeweckt und sofort bereit, mit einem völlig Fremden zu sprechen. War sie ein anderer Typ der Bruderschaft, der schnell, aber unvollständig antwortete? Obgleich die Sonne schien, war es kühler als sonst an einem Sommernachmittag. Trotzdem begann ich zu schwitzen.
Nachdem ich mir mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, blickte ich zu dem Dampftraktor. Magister Kerwin hatte uns etwas über Dampfmaschinen beigebracht und dass sie zuviel Chaos schufen, wenn sie nicht ordnungsgemäß gebaut und betätigt wurden, und dass sie zuviel konzentrierte Hitze entwickelten. Dampfschiffe konnten diese Hitze wegen der Leitfähigkeit des Ozeans und ihrer relativen Isolation von anderen Chaos-Quellen verkraften.
Das nächste volle Netz sauste durch die Luft, und die eifrige Staufrau – oder was auch immer sie war – kam wieder zu mir.
»Was hältst du von Nylan?«
»Bis jetzt weiß ich noch nicht, was ich denken soll. Ich bin erst heute angekommen.« Ich deutete auf den Traktor. »Das entspricht nicht den Lehren meines Magisters.«
Caron grinste. Sie sah jünger aus – ungefähr so alt wie Tamra –, wenn sie lächelte. »Das sieht nur so aus. Wenn du die Alternativen in der Ordnungstheorie überlegst, die Anzahl von Menschen, die nötig sind, um diese Ladung zu heben, kommt es ungefähr aufs Gleiche hinaus. Hinzu kommt die Tatsache, dass wir so ohne die übliche Angst vor Katastrophen tätig sein können, die Ausländer halb tot ängstigt.«
Die Ausländer halb tot ängstigt? Obwohl diese Frau so freimütig sprach, erklärte sie eigentlich nichts richtig. Ich sah zu, wie sie allein eine große Kiste ins Netz beförderte. Auf dem Dampfschiff bestaunten zwei langhaarige, bärtige Matrosen mit offenem Mund die Mühelosigkeit, mit der die Frau die schwere Fracht bewältigte.
»Außerdem legt diese Art des Ladens den Punkt
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