Magische Insel
können?
In meinem Zimmer stand – wie in allen anderen – ein schmales Bett, das jedoch für eine Person bequem war. Der Holzrahmen war aus polierter Roteiche – welch ein Glück! Eine dunkelblaue Decke lag zusammengefaltet auf dem Laken. Kissen gab es nicht. Aber ich hatte seit meiner Lehrlingszeit bei Onkel Sardit kein Kopfkissen mehr gehabt. Auf dem Tisch stand eine kleine Öllampe. Es gab einen Schrank aus Roteiche, in dessen eine Hälfte man Kleidung hängen konnte; die andere bestand aus Fächern.
Ein oval geflochtener bunter Teppich – ungefähr drei Ellen lang – bedeckte die blauen Fliesen zwischen Tür und Bett, das an der Außenmauer stand. Das halboffene Fenster befand sich mitten in der Wand, dicht über dem Fußende des Betts.
Ich holte meinen Umhang aus dem Tornister und hängte ihn in den Schrank, ebenso meine andere Hose und Tunika. Ich fand meine Geldbörse mit dem Lehrlingslohn und noch eine Börse, an die ich mich nicht erinnern konnte. Ich öffnete sie. Darinnen befanden sich zehn abgegriffene Goldpfennige. Ich schluckte.
In der nächsten Minute sah ich alles etwas verschwommen. Vielleicht weil ich mich an den Goldpfennig mit der Scharte erinnerte. Meine Mutter hatte ihn mir gezeigt und erklärt, er stamme von einem Einkäufer des Kaisers von Hamor. Sie hatte nicht zugelassen, dass ich ihre Tränen beim Abschied sah, mir jedoch alles mitgegeben, was sie besaß. Ich wühlte weiter im Tornister … nach irgendetwas.
Das Sommerhemd legte ich zusammengefaltet ins zweite Fach. Den Lederbeutel mit Rasiermesser und Seife stellte ich ins oberste. Die wenige Unterwäsche nahm nicht viel Platz ein. Dann fand ich noch das kleine Buch, das mein Vater wohl in den Tornister gepackt hatte.
Die Basis der Ordnung … ausgerechnet! Wer weiß? Vielleicht gäbe das Lesen mir etwas zu tun – vor allem wenn die Ausbildung langweilig würde. Ich ließ das Buch nicht offen liegen, sondern steckte es unter das Hemd. Die Börsen verstaute ich wieder im Tornister und stellte ihn ins oberste Fach. Dort waren sie sicher, das wusste ich. Dann nahm ich zehn Kupferlinge und einen Silberpfennig.
Kein Zimmer hatte ein Schloss, nur einen Riegel, den man von innen vorlegen konnte. Aber wer würde schon etwas unter den Augen der Bruderschaft stehlen? Selbst Myrten hätte Hemmungen … zumindest anfangs.
Ich schüttelte den Kopf. Es war noch früh, doch obwohl es bis zum Hafen ziemlich weit war und ich Blasen an den Füßen hatte, wollte ich mir Nylan genauer anschauen. Ich wollte nicht herumsitzen und über das Buch und die zweite Börse grübeln.
Der Stab blieb neben dem Umhang im Schrank.
Ein letzter Blick ins Zimmer, dann schloss ich die Tür. Der Korridor davor war leer. Aus dem Nebenzimmer hörte ich Stimmen: Wrynn und Krystal. Sie sprachen sehr leise.
Der Weg zum Hafen war leicht zu finden, da alle hundert Ruten steinerne Wegweiser standen, auf denen Pfeile die Namen und die Entfernung angaben.
H AFEN – 1 1 / 2 M EILEN
N ORDDEPOT -1 M EILE
V ERWALTUNG - 1 / 2 M EILE
Ich folgte den Pfeilen zu einer Mauer aus schwarzen Quadern, die von Nord nach Süd quer über die Halbinsel verlief. Sie war niedrig, etwas über zwei Ellen; sie war auch keine richtige Barriere. An den Öffnungen, wo die Wege hindurchführten, gab es keine Tore. Auf einer Seite standen niedrige Gebäude in der parkähnlichen Landschaft.
Ich kam zu einer Treppe mit sehr breiten Stufen und blickte über den Stadtkern Nylans, den Marktbereich. Dahinter sah ich das blaue Meer des Hafens und mehrere Masten.
Direkt hinter der Mauer fiel das Gelände ab. Die Wiese senkte sich um gute fünfzehn auf weniger als hundert Ellen. Jenseits der Senke begannen die Gebäude: alle aus schwarzem Stein errichtet und mit schwarzem Schiefer gedeckt. Jedes stand einzeln und ein Stück weit von den schwarzen Wegen und den glänzenden schwarzen Gehsteigen entfernt. Im Gegensatz zu Enstronn oder Mattra, ja sogar zu Wandernicht, gab es keinerlei Pfosten, um Pferde anzubinden. Nylans Straßen schienen trotz ihrer Breite nicht für Pferde oder Wagen geplant zu sein.
Die Menschen auf den Straßen trugen manchmal Pakete, manchmal nichts. Einige waren schwarz gekleidet, andere so bunt wie der Regenbogen.
Niemand blickte zum Hügel herauf. Ich marschierte hinab.
Auf halbem Weg schaute ich zurück. Die Mauer, die von oben so niedrig gewirkt hatte, schien mir am Fuß des Hügels mindestens fünfzehn Ellen hoch zu sein. Selbst wenn ich in Betracht zog, dass man
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