Magische Insel

beinahe unbesiegbar gemacht hätten. Das wusste ich noch vom Unterricht Magister Kerwins.
    »… die größte Stärke des Chaos ist seine Fähigkeit, Komplexität zunichte zu machen …«
    »Benutzen deshalb die meisten Nationen keine Dampfmaschinen?« Wieder lächelte Tamra hinreißend.
    Wrynn schnaubte hörbar.
    Ich versuchte mich zu entspannen. Theorie war gut und schön, aber mich langweilten sowohl Tamras Scheinheiligkeit als auch Magister Lennetts Begeisterung, uns das Offensichtliche zu erklären und die Erklärungen hinter dem Offensichtlichen zu vermeiden. Was war Ordnungs-Magie? Wie stärkte sie die inneren Bindungen? Warum gab niemand zu, sie zu praktizieren? Und wie wirkte eigentlich Chaos-Magie?
    Magister Lennett stellte weiter Fragen. Ich dachte jetzt über Candar nach. Was werde ich hier wohl noch tun müssen? Was steht mir bevor?

 
XV
     
    V on Anfang an – so empfand ich es – waren wir für Candar bestimmt gewesen. Doch das zu verstehen und zu erfahren, dass wir tatsächlich Recluce verlassen müssten, waren zwei ganz verschiedene Seiten einer Medaille.
    Wir warteten alle im selben Raum, in dem wir uns bei unserer Ankunft in Nylan versammelt hatten. Diesmal ging jeder allein zu Talryn.
    Die dunkle Eichentäfelung kam mir beim zweiten Mal noch düsterer vor, und die Bilder der beiden Meister an den Wänden schienen mich wissender anzuschauen, beinahe so, als hätten sie ein Geheimnis, das sie mir jedoch nicht verrieten.
    Mir war klar, dass das reiner Unsinn war, aber wenn ich den Mann in Schwarz betrachtete, schauderte mich unwillkürlich. Die Frau sah ich nicht an. Sie erinnerte mich an Tamra, obgleich keinerlei äußerliche Ähnlichkeit bestand.
    Sammel ging hinein und kam nicht zurück. Ich nahm an, dass er durch die andere Tür hinausgegangen war. Dann rief Talryn Dorthae, danach Wrynn und Myrten. Krystal und Tamra saßen auf der Bank. Krystal am Rand, bereit, sofort aufzustehen. Das verstand ich.
    Ich wollte nirgends sitzen. Ich hatte das Gefühl, nicht viel mehr zu wissen als bei meiner Ankunft im Frühsommer. Körperlich war ich allerdings in besserer Verfassung und verstand mit einem halben Dutzend Waffen so gut umzugehen, dass ich mich in einem Kampf wehren konnte.
    Aber ich wusste immer noch nicht, warum ich von Recluce fortgeschickt wurde. Ja, alle hatten erklärt, dass ich eine Gefahr für die Ordnung unserer wunderbaren Inselnation darstellte. Aber niemand hatte mir erklärt, warum.
    »Krystal …« Talryn wartete an der halboffenen schwarzen Eichentür.
    Krystal stand langsam auf.
    »Viel Glück«, sagte ich leise.
    Sie lächelte scheu und zuckte mit den Schultern.
    Talryns Gesicht war so berufsmäßig freundlich wie das eines berufsbegeisterten Henkers.
    Tamra musterte mich. Im Gegensatz zu Krystal saß sie lässig da. Durch das leuchtende Blau des Tuchs und das flammendrote Haar wirkte sie in dem düsteren Warteraum irgendwie fehl am Platz. »Eine Schwäche für ältere Frauen?«
    »Nein, nur für Frauen.« Ich hatte ihre Sticheleien verdammt satt. Sie wollte nichts verstehen, sondern nur auftrumpfen. »Besonders für Frauen, die gern zugeben, dass sie Frauen sind.«
    »Aha … die unterwürfige Sorte.«
    Ich schüttelte den Kopf, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen. »Du bist zwar gut, Tamra, aber Krystal könnte dich in kleine Stücke hacken. Das ist nicht unterwürfig – weder laut Chaos noch laut Ordnung. Krystal ist meine Freundin. So wollte sie es.«
    »Dann bist du also der Unterwürfige.« Sie lächelte und rekelte sich wie eine Katze auf der Bank.
    Ich machte mir nicht die Mühe, ihr zu antworten. Tamra würde nur alles verdrehen, was ich zu sagen hätte. Stattdessen betrachtete ich die Steine unter meinen Füßen und versuchte, das Muster ihrer Existenz zu erforschen und verborgene Sprünge zu entdecken. Magister Lennett behauptete, jedes Material habe Muster. Beim Holz verstand ich das, und sollte ich je wieder damit arbeiten, würde mir dieses Verständnis helfen, besser als alle anderen Gesellen zu arbeiten. Bei den schwereren Materialien wie Schiefer, Marmor, Granit und Eisen war es schwieriger.
    Die Steinböden in Nylan waren anders. Die Bruderschaft verwendete ganz eigenes Gestein. Da gab es keine verborgenen Sprünge. Jeder Pflasterstein schien in sich selbst vollständig zu sein. Und dennoch fügte er sich in ein größeres Muster ein. Bearbeitetes Metall fühlte sich ähnlich an, doch Steine nicht.
    »Tamra!« Talryn rief nur ihren Namen.
    Ich wollte