Magische Insel
aus.«
Ich schüttelte den Kopf.
»O Lerris … es ist noch schlimmer. Viel schlimmer«, meinte Talryn beinahe spöttisch. »Was ich gesagt habe, ist nicht ganz wahr. Gelegentlich kannst du Chaos benutzen, um der Ordnung zu dienen – aber nur wenn alles von Überlegungen der höheren Ordnung ausgeglichen wird. In der Tat könnte dieser Fall eintreten … solltest du wählen, der Ordnung zu dienen. Solltest du ein Ordnungs-Meister werden wollen, musst du jede Benutzung der Ordnung berechnen. Vielleicht hast du Glück und erfasst intuitiv das Gleichgewicht, doch wenn du nicht in der Lage bist, diese Intuition logisch zu überprüfen, siehst du nicht den Unterschied zwischen dem intuitiv Richtigen und verborgenen Wünschen – die wir alle haben. Und wirst du dann nicht den leichteren Weg wählen?«
»Ihr sucht nach … einem Mann … einer Frau … nach jemandem, der vollkommen ist …«
»Habe ich dir nicht gesagt, dass wir ungerecht sind?« fragte Talryn leise. Jetzt klang er nicht spöttisch.
Ich blickte auf die polierte Tischplatte. »Seid Ihr fertig?«
»Noch nicht. Ich muss dir deine Aufgabe zuteilen. Sie klingt leicht, sie ist es jedoch nicht. Du musst in Candar über die Osthörner hinaus bis zu den Westhörnern reisen und darfst nicht zurückkehren, bis du das Gefühl hast, bereit zu sein. Außerdem musst du allein reisen. Das heißt, ohne Gesellschaft von jemandem aus Recluce.«
»Was, zum Teufel, soll das heißen?« Ich funkelte ihn zornig an.
Talryn fing meinen Blick auf. »Du wirst wissen, was es heißt. Hast du noch irgendwelche Fragen?«
Ich hatte jede Menge Fragen, aber sie waren alle von der Art, die ich nicht stellen konnte. Warum ich? Was hatte ich je getan? Warum versuchte nie jemand, mir die Dinge zu erklären? Warum beruhte alles entweder auf Glauben oder auf einer Erfahrung, die ich nicht hatte? Warum bildete man uns als Gruppe aus und verbot uns dann, gemeinsam zu reisen? »Nein. Keine Frage, die irgend etwas klären könnte.«
»Nun gut.« Er stand auf. Er sah müde aus. Es war das erste Mal, dass ich bei ihm menschliche Gefühle entdeckte. »Ich werde dich bis zu deiner Rückkehr nicht wieder sehen. Wir wünschen dir Glück, Lerris. Der Rest deiner Gruppe wartet. Euer Schiff läuft bald aus.«
»Und jetzt?«
»Hol deine Sachen und geh zur Pier, wo die Eidolon wartet.« Er deutete zur anderen Tür, die ebenfalls aus schwarzer Eiche bestand, bewegte sich jedoch nicht.
Ich nickte. »Danke für Eure Offenheit. Ich hoffe, ich kann sie gebrauchen.«
Talryn schwieg und beobachtete mich nur. Ich verstand, neigte den Kopf und ging hinaus.
Würden wir mit diesen seltsamen schwarzen Bruderschaftschiffen fahren, über die keiner sprach? Oder im Rumpf eines candarischen Frachters? Talryns Worte hatten mich darüber völlig im Unklaren gelassen.
Ich wusste so wenig! Selbst Talryn hatte so getan, als verstoße er gegen eine ungemein wichtige Regel oder Tradition, indem er mir einige Hintergründe verriet. Er glaubte daran – das stand fest. Und das machte mir angst. Niemals eine zerstörerische Kraft benutzen … selbst nicht im Dienst des Guten?
Mir lief es eiskalt über den Rücken. Ich ging wie betäubt durch den langen unterirdischen Korridor, den die Nachmittagssonne hell erleuchtete. Über mir lockte der grüne Garten durch die Scheiben. Dennoch schauderte es mich.
XVI
T alryn hatte recht. Sammel, Myrten, Dorthae, Wrynn und Krystal warteten alle vor dem Gebäude. Der Westwind rauschte in den Blättern der Roteiche, unter der sie standen. Hinter uns lagen die schwarzen Unterkünfte der Gefahrenbrigadiere, die trotz der Nachmittagssonne düster wirkten.
Sammel trug den Tornister und zwei Kurzschwerter – nein, zwei Kampfstöcke, wie ich beim genaueren Hinschauen erkannte. Myrten trug keine sichtbaren Waffen, Dorthae auch nicht. An Wrynns Gürtel hingen ein Kurzschwert und ein Wurfmesser. Ein zweites Messer steckte in der Geheimtasche ihrer Hose am Oberschenkel.
Krystal, wie immer in verwaschener blauer Kleidung, trug das Schwert, das ich ihr gekauft hatte. Allerdings hatte sie die billige Scheide durch eine alte, aber aus kräftigem grauen Leder gefertigte ersetzt. Sie nickte mir zu.
Ich wischte mir die Stirn ab und ging zu ihr.
»Talryn hat dir wohl ziemlich zugesetzt«, meinte sie.
»Mir geht’s gut.« Ich wollte nicht darüber reden.
»Tamra sah auch mitgenommen aus, als sie herauskam.«
»Was ist mit dir?« fragte ich.
Sie kicherte nicht, sondern lächelte nur
Weitere Kostenlose Bücher