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Magische Insel

Titel: Magische Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. E. Modesitt
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gestöhnt.
    »Doch es gibt noch einen wichtigen Punkt, an den ihr denken müsst. Die Menschen außerhalb von Recluce bezeichnen ihre Welt – den Rest der Welt – als ›reale Welt‹. Candar wird eure reale Welt werden. Solltet ihr hier sterben – und manche von euch könnte der Tod hier ereilen –, werdet ihr für immer sterben. Doch Recluce ist ebenfalls eine reale Welt und in vieler Hinsicht greifbarer als Candar. Ihr müsst entscheiden, welche Welt für euch real ist. Welche Realität mitsamt aller Regeln – ganz gleich, ob es Regeln der Ordnung sind oder die gemischten und sich ändernden Regeln, mit denen Ordnung mit Chaos im Wettstreit steht – die eure sein soll.«
    Sie deutete zum Eingang. Ein junger Diener brachte ein Tablett mit vollen Tellern. »Da kommt das Abendessen. Danach könnt ihr oben in eure Zimmer Schlafengehen oder auch nicht, ganz nach Belieben. Morgen früh gibt es Gebäck und Obst. Ihr könnt gehen, wann ihr wollt. Doch müsst ihr die Herberge bei Sonnenuntergang verlassen haben. Wer Freistadt den Rücken kehren will, sollte nicht bis zur letzten Minute warten. Dann wird man meistens ausgeraubt. Bei der jetzigen Laune des Herzogs würde ich nicht empfehlen, in Freistadt zu bleiben. Aber das ist eure Entscheidung – die erste von vielen.«
    Sie hörte unvermittelt auf zu reden und setzte sich. Die Teller und Platten standen auf der karierten Tischdecke. Dann erschien die Wirtin und stellte vor jeden ein Glas.
    »Wein oder Rotbeerensaft?«
    »Wein«, antwortete Tamra.
    »Rotbeeren …«
    »Rotbeeren …«
    »Wein …«
    »Rotbeeren«, sagte ich, als ich an der Reihe war, und schaute zu, wie sie den Saft bis zum Rand einschenkte. Dann lächelte ich, als Myrten drei dampfende Fleischstücke aufspießte und auf seinen Teller beförderte.
    Wir hatten alle Hunger, auch Isolde. Daher aßen wir eine Zeitlang schweigend. Dann nahm Tamra einen kräftigen Schluck Wein und fragte fröhlich: »Was wird mit dem Herzog von Freistadt geschehen?«
    Isolde blickte vom Teller auf. Sie lächelte Tamra nichts sagend an. »Warum? Es wird so kommen, wie es kommen wird.«
    »Das ist keine richtige Antwort«, bohrte Tamra nach.
    »Nein. Es trifft aber die Tatsachen. Ich bin gern bereit, diesen Punkt mit dir ausführlich zu diskutieren, sobald du von deiner Gefahrenbrigadentour zurückgekehrt bist – vorausgesetzt, dass du dich entscheidest, wieder zurückzukommen und Recluce nicht mehr zu einengend zu finden.« Danach schnitt Isolde ein Stück von der Büffelfleischscheibe auf dem Teller ab.
    Tamra funkelte sie wütend an, doch die Magistra beobachtete die Ungeduld des Rotschopfes nicht. Ich musste lächeln.
    »Du freust dich offenbar«, flüsterte Krystal.
    »Tamra hat Schwierigkeiten, wenn sie die Menschen nicht gleich manipulieren kann«, gab ich leise zurück, um Sammel und Dorthae nicht beim Austausch von Zärtlichkeiten zu stören.
    »Haben wir die nicht alle?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich hatte Krystal recht, aber Tamra bestand immer darauf, recht zu haben, und verlangte, die Welt solle dies anerkennen.
    »Ich wünsche euch viel Glück«, sagte Isolde. Alle schwiegen. »Von jetzt an seid ihr allein auf euch gestellt. Ich hoffe, euch wieder zu sehen, aber das ist eure Wahl.« Sie nickte uns zu, stand auf und verließ den Raum. Wir hörten noch das Echo ihrer Stiefelabsätze auf dem Holzfußboden, als sie den großen Speisesaal durchschritt.
    »… so plötzlich …«
    »… typisch für die Meister …«
    Ich sagte nichts, sondern trank noch einen Schluck Rotbeerensaft. Dann wartete ich. Wer würde bleiben? Wer würde gehen? Doch wir blieben alle schweigend sitzen und schauten uns an.
    »Trotz der hübschen Umgebung sind wir ihnen doch völlig gleichgültig«, durchbrach Tamra die Stille.
    Ich stand auf. »Ich brauche etwas Schlaf.« Ich hätte mich gern mit Krystal unterhalten, aber der Gedanke, etwas zu sagen, wenn Tamra jedes Wort auf die Goldwaage legte, bereitete mir Magenschmerzen.
    »Es ist noch früh«, meinte Myrten.
    Ich nickte der Wirtin am Empfang zu und lief – zwei Stufen auf einmal nehmend – die Treppe hinauf. Ich hatte keine Lust, mich zu streiten, und wäre ich unten geblieben, wäre es unweigerlich zu einer Auseinandersetzung gekommen. Außerdem würde ich vielleicht nach morgen früh keinen mehr wieder sehen, und Tamras Einstellung störte mich ungemein. Es war auch ganz klar, dass sie meine ebenso wenig mochte.
    Die Tür öffnete sich mühelos. Ich trat hindurch.

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