Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert
euch nicht, äffte ich sie stumm nach. Nur weil die mal zwei Jahre in New York gelebt hatte, musste die sich doch nicht so aufführen, als ob es in Deutschland noch kein elektrisches Licht gäbe.
Suse aber war ganz Feuer und Flamme. »Nee, nie gehört. Erzähl!«
»Der coolste Sport überhaupt. Es geht darum, den kürzesten Weg zu nehmen und dabei alles zu überwinden, was so rumsteht. Papierkörbe, Bänke und so weiter. Die Hindernisse dürfen nicht verändert werden, sondern nur übersprungen oder überklettert. Wenn’s sein muss auch Bauzäune und Garagen. Manche klettern auch über Hochhäuser. Und ab und zu kann man einen Salto oder so was einbauen.«
Ich hielt die Luft an. Wie bitte? Hochhäuser? Das denkt die sich doch aus.
»In New York hab ich immer mit meinen buddies trainiert.«
»Krass«, wisperte Suse. »Bricht man sich dabei denn nichts?«
»Am Anfang kann’s echt wehtun, man schürft sich immer die Hände auf und die Knie. Aber ich hab mich von ein paar blauen Flecken nicht unterkriegen lassen. Seitdem weiß ich, dass man auf Probleme oder Hindernisse am besten direkt zugeht und versucht, sie zu überwinden.«
Meine buddies? Nicht unterkriegen lassen? Hindernisse überwinden? Bekam Suse wirklich nicht mit, was für eine Wichtigtuerin diese Marli war? Vor Wut schnürte sich mir der Hals zusammen. Aber vielleicht war es keine Wut. Vielleicht war es… ach, was weiß ich. Was immer es war, es passte mir nicht, dass Suse, meine beste Freundin, auf einmal nicht mehr in allem derselben Meinung war wie ich. Sonst hatten wir uns immer blind verstanden, hatten dasselbe gedacht und gefühlt und die Sätze der anderen beendet. Oft hatte ein Blick genügt oder das Heben einer Augenbraue und wir wussten sofort, was die andere meinte.
Ich schüttelte den Kopf. Es gefiel mir ganz und gar nicht, wie ich mich fühlte, ich wollte so nicht sein. So… eifersüchtig . Und trotzdem konnte ich nichts dagegen tun.
»Wahnsinn«, flüsterte Suse aufgeregt hinter mir. »Kannst du mir das beibringen?«
»Echt? Hast du Lust? Total gerne. Wir können mit ein paar Grundelementen anfangen. Gleich nach der Schule?«
Ich hörte Suses Antwort nicht, weil Poldi gerade sagte: »Suse Abendschön und Marli Rosenfeld. Freut mich, dass ihr euch so wohl in meinem Unterricht fühlt. Ich wäre euch jedoch dankbar, wenn ihr jetzt wieder mitmacht.«
Aber ich musste Suses Antwort auch gar nicht hören. Ich wusste sowieso, dass sie Ja sagen würde.
In der großen Pause hingen wir alle zusammen herum wie in letzter Zeit eigentlich immer. Nur Lea und Fritzi hatten sich für ein Referat in den Pausenraum verzogen. Alenya, Gloria, Suse, alle schienen sich mit Marli gut zu verstehen, und das wollte mir nicht in den Kopf. Merkte denn wirklich keiner, dass die seltsam war? Arrogant und von sich selbst eingenommen? Und wie sie redete…
Also machte ich mich in der Pause mal wieder auf die Suche nach Tom und sah mich wirklich äußerst unauffällig überall nach ihm um. Auf der kleinen Liegewiese, auf der meistens die älteren Schüler rumlungern, bei den Tischtennisplatten und ganz hinten bei den Bänken. Ich warf sogar einen Blick auf die kleine Gruppe in der Raucherecke, aber Tom blieb verschwunden. Oder war er gar nicht erst in die Schule gekommen? Ich schlenderte quer über den Schulhof zurück, allerdings sehr langsam. Ich hatte nämlich keine Lust, mir wieder diese
bekloppten Marli-ist-ja-so-spannend-Gespräche anzuhören, und hoffte (zum ersten Mal in meinem Leben), dass es gleich zum Unterricht klingeln würde. Als ich gerade an den Fahrradständern vorbeischlenderte, bemerkte ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Erschrocken blieb ich stehen. Das gibt es doch nicht. Dort stand die Frau von meiner Geburtstagsfeier. Die ich dabei ertappt hatte, wie sie uns beobachtete. Zwar trug sie diesmal keinen langen Mantel und auch keine Kapuze, aber ich erkannte sie trotzdem sofort wieder. Erstens wegen der Blutwurstlocken, vor allem aber wegen ihrer Haltung, die war so aufrecht. Sie trug ein elegantes graues Kostüm und rote Pumps. Unvermittelt drehte sie den Kopf etwas zur Seite und da war es, als würden kleine Explosionen aus ihrem Gesicht schießen. Dann sah ich, dass sie eine riesige Sonnenbrille mit Spiegelgläsern trug, die in der Sonne aufblitzten. Was hatte sie hier zu suchen?
In diesem Moment klingelte es. Bevor mich die Frau entdecken würde, machte ich auf dem Absatz kehrt und lief direkt in Henris Arme. Besser gesagt rannte ich
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