Magisches Erbe
zu hören. »N-nein. Nein, gar kein Problem.«
Zufrieden, dass er einen Blick auf mein Kleid hatte werfen können, schlüpfte ich in meinen Mantel, einen mittellangen, schwarzen Trenchcoat, und deutete auf den Ausgang. »Zeit, den Elementen zu trotzen?«
Er eilte voraus, um die Tür zu öffnen. Schneeflocken wirbelten herab und kamen auf meinem Mantel und meinem Haar zu liegen. Mein Atem bildete eine Eiswolke in der Luft, und ich hatte einen vorübergehenden Flashback, in dem ich mit Adrian über das Feld ging. Ich hatte ja nicht ahnen können, dass die Suche nach Marcus dazu führen würde, in einem engen Kleid Besorgungen für ihn zu erledigen.
Ian hatte vor dem Hotel in der runden Einfahrt geparkt. Er fuhr einen Toyota Corolla, der durch die Tatsache, dass er ihn in Weiß genommen hatte, noch langweiliger wirkte. Am Rückspiegel hing ein Wunderbaum, aber statt des üblichen Kieferndufts erklärte ein kleines Etikett, dass es sich um einen »New Car«-Duft handelte. Es roch hauptsächlich nach Plastik. Ich setzte eine tapfere Miene auf. Marcus schuldete mir wirklich was.
»Ich habe uns einen Tisch in einem unheimlich guten Fischrestaurant reserviert«, eröffnete er mir. »Es liegt ganz in der Nähe der Einrichtung, deshalb können wir im Anschluss gleich zum Gottesdienst rüberfahren.«
»Klingt toll«, antwortete ich. Ich aß niemals Fisch in einem Binnenstaat.
Das Restaurant trug den Namen Meerwert, was meine Meinung von ihm nicht verbesserte. Ich musste ihm trotzdem lassen, dass es sich um eine romantische Atmosphäre bemühte. Die Beleuchtung kam überwiegend von Kerzen, und ein Pianist in der Ecke spielte Coverversionen von Easy-Listening-Musik. Weitere gut gekleidete Leute besetzten die Tische, lachten und plauderten über Wein und Krabbencocktails. Der Betreiber führte uns an einen Ecktisch, der mit burgunderrotem Leinen eingedeckt und mit grünen Orchideen geschmückt war. Ich hatte nie welche aus der Nähe gesehen und war ziemlich angetan davon, wie exotisch und sinnlich sie waren. Wenn ich doch nur mit jemand anderem hier gewesen wäre als Ian.
Ich zögerte, meinen Mantel auszuziehen. Es gab mir das Gefühl, ungeschützt zu sein, und ich musste mir die Konsequenzen der Zusammenarbeit von Alchemisten und Kriegern ins Gedächtnis rufen. Sobald das Kleid wieder auf Ian losgelassen war, hatte ich die Genugtuung, ihn abermals dahinschmelzen zu sehen. Ich erinnerte mich an Adrians Rat, ich solle Selbstbewusstsein zeigen, und setzte ein selbstgefälliges Lächeln auf. Ich hoffte den Eindruck zu erwecken, dass ich Ian einen großen Gefallen damit tat, ihn in meiner Gegenwart zu dulden. Und zu meiner absoluten und vollkommenen Verblüffung schien das auch zu funktionieren. Ich erlaubte mir plötzlich, einen gefährlichen Gedanken zu hegen: Vielleicht war es gar nicht das Kleid, das hier solche Macht ausübte.
Vielleicht war ich es.
Als ich die Speisekarte aufschlug, begann ich nach Rindfleisch oder Geflügel zu suchen. »Was würdest du empfehlen?«
»Die Goldmakrele ist hier toll«, antwortete er. »Und der Schwertfisch.«
Der Kellner kam vorbei, und ich bestellte einen Cäsar-Salat mit Hühnchen. Bei den Sardellen im Dressing konnten sie nicht viel falsch machen.
Man ließ uns allein, und während der Wartezeit blieb uns nichts anderes, als zu Smalltalk überzugehen. Ian griff den Ball auf. »Ich nehme an, du kannst mir immer noch nicht viel darüber erzählen, woran du arbeitest, oder?«
»Ich fürchte, nein. Du weißt ja, wie es ist.« Ich bestrich ein Brötchen mit exakt einem halben Teelöffel Butter. Ich wollte nicht zu verrückt werden, aber eine kleine Schwelgerei konnte ich mir schon erlauben, da ich einen Salat bestellt hatte. »Ich kann dir sagen, dass ich im Außendienst bin. Viel mehr darf ich dir allerdings nicht erzählen.«
Ians Aufmerksamkeit löste sich von meinem Ausschnitt, als er in die Kerzenflamme starrte. »Ich vermisse das, weißt du? Im Außendienst zu sein.«
»Du warst es früher mal, stimmt’s? Was ist denn passiert?« Ich hatte in letzter Zeit nicht viel darüber nachgedacht, aber als Ian Stanton und mich zum Moroi-Gericht begleitet hatte, hatte man ihn für die Reise von seinem Posten abgezogen. Er war irgendwo im Süden eingeteilt gewesen, Florida oder Georgia, dachte ich.
»Diese Moroi haben uns gefangen gehalten, das ist passiert.« Er richtete den Blick wieder auf mich, und ich war verblüfft über die Wildheit, die ich in seinen Augen sah. »Ich bin mit der
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