Magnolia Steel - Hexenflüstern (German Edition)
die ihnen der Klabauter mitgegeben hatte, befand sich das Fischgeschäft unweit des historischen Hafens. Die beiden Hexen landeten im Schutz eines alten Bootsschuppens und sahen sich vorsichtig um. Wie bestellt, setzte genau in diesem Moment ein feiner, alles durchdringender Regen ein und vertrieb auch die letzten Nachtschwärmer aus den Straßen und Gassen. Besser konnte es für Linette und Runa nicht laufen.
Sie hatten sich die Skizze gut eingeprägt, also würde es ihnen nicht schwerfallen, die hölzerne Kirche zu finden, der gegenüber das Fischgeschäft lag.
Linette und Runa zogen ihre Hüte tiefer ins Gesicht und atmeten noch einmal tief durch. Dann ließen sie ihre Besen hinter dem Schuppen zurück und huschten geduckt über das nasse Kopfsteinpflaster davon. Der Regen machte die runden Steine glatt und sie mussten höllisch aufpassen, um nicht darauf auszurutschen.
Gleich hinter der nächsten Biegung stand die besagte hölzerne Kirche. Und ihr gegenüber lag, wie beschrieben, das Fischgeschäft. Erleichtert sahen sich Linette und Runa an.
Ein letzter vorsichtiger Blick über die Schulter und sie eilten über den Kirchhof zu »Johanns alter Fischräucherei«.
Es war ein Kinderspiel, das Türschloss mit dem Zauberstab zu öffnen. Trotzdem waren die Hexen froh, als sich die Tür wieder hinterihnen schloss. Nicht umsonst sagte ein altes Hexensprichwort: »Die Nacht hat tausend Augen.«
Drinnen schlug ihnen der Geruch von Essig, Zwiebeln und Fisch entgegen. Angewidert verzog Linette das Gesicht. Die Auslagen des Geschäfts waren leer; die gekachelten Wände blank geputzt.
»Ich sehe kein Gurkenfass, in dem der Fischkönig auf uns warten könnte«, flüsterte Linette nervös. »Ich sehe hier überhaupt keine Fässer.«
»Ruhig, nur ruhig …, hier ist noch eine Tür!«, brummte Runa und stieß sie furchtlos auf.
An das Fischgeschäft schloss sich eine Lagerhalle an, genau wie die Klabauter es beschrieben hatten. »Hier muss es sein!«, flüsterte Runa und linste vorsichtig um die Ecke.
Allerlei Gerät stand in der großen Halle herum. Der Geruch von geräuchertem Fisch hing in dichten Schwaden in der Luft und machte es den Hexen unmöglich, die Anwesenheit fremder Personen zu erschnüffeln.
»Mir gefällt das nicht!« Linette hielt ihre Nase in die Luft. »Ich rieche nichts außer Bückling und Makrele.«
Runa nickte. »Wir können nur hoffen, dass die Luft rein ist. Fremde Gedanken höre ich jedenfalls nicht.«
Linette grunzte zustimmend. Auch sie konnte keine fremden Gedanken hören. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als es zu wagen. Die Zauberstäbe fest in den Händen, betraten sie die Halle. Rechts von ihnen standen die Räucheröfen, weiter hinten wartete ein Fischerboot auf seine Reparatur. In dunklen Ecken stapelten sich Kisten, Netze und Reusen. Aber direkt gegenüber stand eine lange Reihe von Fässern. Wortlos deutete Linette mit dem Zauberstab in ihre Richtung.
»Da sind sie«, wisperte sie.
Im selben Moment polterte es im hinteren Teil der Halle. Die Hexen schützten ihre Augen und wirbelten herum. Ihre Zauberstäbe hieltensie wie Degen vor ihre Körper. Eine Katze sprang fauchend von ein paar Säcken Fischmehl und verschwand im Dunkeln der Halle. Linettes Nerven waren zum Zerreißen gespannt, doch alles blieb still.
»Ganz ruhig«, murmelte Runa erneut. »Such du nach dem Fass. Ich behalte den restlichen Schuppen im Auge.«
Rücken an Rücken durchquerten sie die Halle. Rollmops, Zwiebeln, Fischfond. Da, endlich hatten sie es gefunden. Das Fass mit den sauren Gurken.
Linette zögerte eine Sekunde. Die Vorstellung, dass in diesem Fass ein Fischkönig wartete, um ihnen die magische Brille zu übergeben, war absurd. Womöglich waren sie gerade dabei, den Fehler ihres Lebens zu machen. Was, wenn die Gorgonen ihnen eine Falle stellten?
»Worauf wartest du?«, zischte Runa.
Linette wischte ihre Zweifel beiseite und schob den Zauberstab in ihren Ärmel zurück.
Dann öffnete sie den Deckel. Und da saß er! Der Fischkönig. Zwischen all den sauren Gurken wartete er tatsächlich auf die beiden Hexen. Auf seinem Kopf funkelte eine goldene Krone und seine Schuppen glitzerten in den Farben des Regenbogens. Linette hätte vor Freude jubeln können.
»Na endlich!«, blubberte der Fischkönig. »Ich warte schon seit über einer Stunde auf euch. Wenn ich nicht bald aus diesem Fass herauskomme, werde ich von einer Gurke kaum mehr zu unterscheiden sein. Meine Schuppen laufen bereits an.«
Zu
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