Magnolia Steel - Städing, S: Magnolia Steel
reichte, fand Magnolia. Mehr hatte sie nicht verdient. Geschenke landeten bei ihr sowieso unausgepackt in der Sofaecke. Um 17.00 Uhr läuteten die Kirchenglocken zum Gottesdienst. Von ihrem Fenster aus beobachtete Magnolia, wie von überall Menschen zusammenströmten und die hell erleuchtete Kirche betraten. Ob Jesus von Nazareth auch Hexen willkommen hieß?
Im Lichtschein des Küchenfensters zog eine Koboldfamilie durch den verschneiten Garten. Sie waren auf Verwandtenbesuch, um in geselliger Runde das Sonnenwendfest zu begehen.
In das Läuten der Kirchenglocken mischte sich Motorengeräusch. Scheinwerfer fraßen sich durch den dunklen Wald und hielten schließlich direkt vor der Gartenpforte. Ihre Mutter war angekommen. Sie stieg in einen dunklen Pelzmantel gehüllt aus dem Wagen und zerrte einen Stoß Pakete von der Rückbank. Entschlossen stapfte sie durch den Schnee zum Haus und läutete.
Magnolia beobachtete ihre Mutter. Der Pelzmantel machte sie wütend. Damals war sie traurig gewesen, als ihre Mutter einfach davonfuhr. Heute wäre sie froh, wenn sie fortgeblieben wäre. Sie gab sich einen Ruck und ging hinunter.
»Magnolia, deine liebe Mutter ist soeben angekommen!«, rief Tante Linette mit schriller Stimme und Magnolia wusste, dass ihre Mutter die Nase rümpfte.
Dann standen sie sich in der Diele gegenüber. Ihre Mutter hüllte sie in eine tiefe Wolke Chanel No.5, während sie rechts und links in die Luft küsste. Das Fell der toten Tiere kitzelte an Magnolias Nase und sie trat schnell einen Schritt zurück.
»Hallo Mama, wie schön dich zu sehen«, log sie.
»Komm in die Wohnstube, Charlotte. Magnolia bietet dir ein Glas Sherry an, während ich nach dem Braten sehe.«
Kaum hatte Tante Linette das Zimmer verlassen, zwinkerte Charlotte Melbach ihrer Tochter verschwörerisch zu.
»Du hast die Verbannung in die Drachenhöhle überstanden«, lachte sie. »Ich stehe vor dir, wie der junge Siegfried, um dich vor dem alten Drachen zu retten.« Sie wurde ernst. »Glaub mir, Darling, es gab keinen Tag, an dem ich kein schlechtes Gewissen gehabt hätte, wenn ich an dich dachte.«
»Das war nicht nötig«, gab Magnolia kühl zurück, »ich fühle mich hier sehr wohl.«
»Wie lieb von dir, Maggie, mir meine Schuldgefühle nehmen zu wollen.« Theatralisch streckte Frau Melbach die Arme nach ihrer Tochter aus. Magnolia entging ihrem mütterlichen Zugriff nur, indem sie die Sherry-Karaffe wie eine Waffe vor sich hinstreckte.
»Ich kann es kaum erwarten dich mitzunehmen, wenn wir der Höflichkeit Genüge getan haben. Ich möchte dir unbedingt Amerika zeigen, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.« Sie lächelte verschmitzt. »Ich habe dort übrigens einen sehr netten Herrn kennengelernt. Er wartet in Frankfurt auf uns. Er wird dir gefallen. Er heißt Guy Hobbs und verfügt über das nötige Kleingeld, um uns den Lebensstil zu bieten, der uns zusteht. Für dich ist das feinste Internat gerade gut genug und ich werde …« In diesem Moment kam Tante Linette zurück. Sie ließ sich nicht anmerken, wie viel sie von der Unterhaltung mitbekommen hatte.
»Was haltet ihr davon, wenn wir zuerst bescheren, bevor wir uns die Bäuche mit dem Braten vollschlagen?«, fragte sie munter.
Erst jetzt bemerkte Magnolia die bunten Geschenke, die zu Füßen von Frau Fichte lagen.
»Warte, ich will erst noch meine Geschenke holen«, rief sie undflitzte hinauf in den Turm. Als sie damit zurück in die Wohnstube kam, streckte ihre Mutter breit lächelnd die Hände aus.
»Oh Darling, wie reizend von dir«, säuselte sie und wurde schlagartig ernst, als Magnolia an ihr vorbeiging und das Geschenk Tante Linette in die Hände legte.
»Für dich«, sagte sie leise, »damit du dich nicht erkältest, wenn wir zusammen ausfliegen, und frohe Weihnachten.«
Linette schossen sofort die Tränen in die Augen. Es war lange her, dass sie ein Weihnachtsgeschenk bekommen hatte. Den Heiligabend verbrachte sie stets mit Serpentina allein. Zwerge, Elben und Kobolde, sie alle feierten gemeinsam mit ihren Familien das Sonnenwendfest, da wollte Linette nicht stören. Selbstverständlich hätte sie sich ein paar Hexen einladen können, doch dann wäre das Fest unweigerlich in Ramba Zamba ausgeartet und an Heiligabend war Linette dazu nicht in der Stimmung. Sie riss das hellgrüne Seidenpapier auf, nahm den flauschigen Schal heraus und schlang ihn sich sofort um den Hals. Dabei strahlte sie mit ihrem breitesten, schönsten Wackelzahnlächeln in die
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