Magnolia Steel - Städing, S: Magnolia Steel
lächerlich.
Magnolias Instinkt riet ihr, sich bei diesem Gedanken nicht erwischen zu lassen, also versuchte sie ihn so gut es ging aus ihrem Hirn zu verbannen für den Fall, dass Frau Hulda ihre Gedanken las.
Tante Linette jedenfalls las ihre Gedanken und fand, es sei allerhöchste Zeit einzugreifen, bevor es zu irgendeiner Art vonMissstimmung käme. Darum sagte sie schnell: »Ich danke Euch, verehrte Frau Hulda, für die Freundlichkeit und Zeit, die Ihr meiner Nichte gewährtet. Ihr habt ihr eine große Ehre erwiesen, indem Ihr ihr erlaubtet, ihre noch ungeschulten Augen an Euch zu erproben. Nochmals vielen Dank und einen schönen Abend.«
Energisch packte sie Magnolia am Arm und zog sie mit sich fort.
»Meine Güte, Magnolia, du musst wahrhaftig zuallererst lernen, deine Gedanken zu blockieren«, zischte sie, »du denkst so offen vor dich hin, dass es direkt peinlich ist. Ein Wunder, dass das noch keine Folgen hatte.«
»Sie sah aber auch zu witzig aus«, verteidigte sich Magnolia. »Ein Eichhörnchen im Rüschenkleid ist der mächtige Baumgeist, vor dem alles zittert, ich fasse es nicht.«
»Sei nicht dumm«, erwiderte ihre Tante, »Frau Hulda ist unsichtbar und nur für dich hat sie den Körper eines Eichhörnchens gewählt. Sie hätte auch als Lokomotive erscheinen können, verstehst du? Sie ist an keinen Körper gebunden.«
Magnolia kam sich auf einmal ziemlich dumm vor. Um davon abzulenken, fragte sie: »Und …? Dazu, dass ich sie sehen konnte, sagst du nichts?«
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Linettes Gesicht. »Ich habe nichts anderes erwartet, Schätzchen.«
Am nächsten Morgen wurde Magnolia von wilden Trommelschlägen gegen ihre Tür geweckt. »Was’n los?«, nuschelte sie verschlafen und versuchte die Trommelwirbel in irgendeinen Zusammenhang mit ihrem Traum von singenden Sonnenblumen zu bringen.
»Carpe diem – nutze den Tag«, knarrte Tante Linette direkt vor ihrer Tür. »Ich warte im Garten auf dich.«
»Carpe was?« Magnolia raufte sich die Haare und setzte sich auf.Dieser Morgen entwickelte sich unangenehm dynamisch. Stöhnend rollte sie aus dem Bett, um sich zu waschen und anzuziehen.
Zehn Minuten später stand sie im Garten.
»Na endlich, wurde auch Zeit«, blaffte Tante Linette, schulterte ihren kakifarbenen Militärrucksack und stapfte ohne ein weiteres Wort hinaus in den Wald.
»Moment mal!«, rief Magnolia. »Wo wollen wir denn so früh hin? Ich habe noch nicht einmal gefrühstückt.«
»Frühstück? Du bist dick genug!« Unbeirrt stapfte Tante Linette weiter. Magnolia beeilte sich, ihr zu folgen. »Es ist noch mitten in der Nacht.«
»Unsinn! Es ist fünf Uhr dreißig, also die beste Zeit, um seine Sinne zu schärfen.«
»Na klasse.« Magnolia fröstelte, denn obwohl der Tag warm zu werden versprach, hing am frühen Morgen noch kalter Nebel zwischen den Bäumen.
»Dir wird gleich warm«, versprach Tante Linette und schritt kräftig aus. Sie folgten zuerst dem Bachlauf, an dessen Ufer Beinwell und Mädesüß wuchsen, und drangen dann tiefer in den Wald. Magnolia wollte gerade verkünden, wie angenehm es war, über den dick bemoosten Waldboden zu laufen, als Tante Linette warnend die Hand hob. Sie hatte in einiger Entfernung einen Mann und ein Mädchen entdeckt. Der Mann war damit beschäftigt, etwas aus dem Waldboden zu graben, während das Mädchen nur darauf wartete zuzupacken. Ihre Hände steckten fest in derben Lederhandschuhen.
»Das ist Arnulf«, sagte Tante Linette erstaunt. »Aber was in drei Teufels Namen tut er da?«
Arnulf Langboom, der Apotheker, mühte sich redlich. Doch das, was er auszugraben versuchte, schien fest im Boden zu stecken.
»Ja ist er denn noch bei Trost!«, rief Tante Linette auf einmal erschrocken. »Ich glaube wahrhaftig, er gräbt eine Alraune, aus. Schnell,Magnolia, halte dir ganz fest die Ohren zu. Der Schrei einer aus dem Boden gerissenen Alraune ist so scheußlich, dass sensible Menschen den Verstand verlieren oder sogar daran sterben können.«
In diesem Moment gellte der Schrei der Alraune auch schon durch den Wald. Magnolia hörte ihn nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber es genügte, um ihr stechende Kopfschmerzen zu verursachen. So fest es ging, presste sie ihre Hände auf die Ohren. Erstaunlicherweise zeigten weder das Mädchen noch Herr Langboom eine Reaktion auf diesen Schrei.
Ein kleines Wesen bahnte sich schlagend und tretend seinen Weg zwischen den Beinen des Apothekers hindurch, vorbei an dem Mädchen, das
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