Magnolia Steel - Städing, S: Magnolia Steel
zu machen.
Verstohlen sah sie zu Samantha hin. Natürlich, Samanthas olympische Disziplin war die Bodengymnastik. Mit einer fließenden Bewegung, die auf jahrelangen Ballettunterricht schließen ließ, schwang sie ihren rechten Arm über den Kopf, streckte den Rücken kerzengerade und lag flach auf ihrem linken Bein. Dort verweilte sie einen Moment und kam in genau dem Augenblick wieder hoch, als Leander an ihr vorbeiging.
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und neigte den Körper graziös über das rechte Bein.
Magnolia kam sich vor wie ein Wurm. Wütend durchbohrte sie Samantha mit Blicken. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als einen brauchbaren Zauberspruch in ihrem Repertoire zu haben. Sie dachte dabei an so feine Zaubereien wie den Furunkel- oder Lippenschwell-Zauber. Aber es war klar, dass man zwar zur Hexe ausgebildet wurde, es dann aber Jahre dauerte, bis ein wirklich brauchbarer Zauber dabei war.
Die Schneckenplage war es, womit Magnolia sich zurzeit im Zauberunterricht beschäftigte. Sicher ein Zauber, mit dem man jeden Hobbygärtner in den Wahnsinn treiben konnte. Für Samantha allerdings völlig ungeeignet. Magnolia nahm sich vor, wenigstens zwei bis drei nützliche Zaubersprüche zu lernen, wenn es sein musste auch allein.
Am Ende der Sportstunde rückte Herr Kahle dann mit einer erfreulichen Nachricht heraus. Die letzte Stunde fiel aus. Herr Orloff, der Geschichtslehrer, nahm an einer Lehrerfortbildung teil.
Nach dem Duschen machte jemand den Vorschlag, die letzte Stunde gemeinsam im »Milky Way« zu verbringen.
»Ist doch witziger, als zu Hause allein abzuhängen.«
»Ohne mich, tut mir leid, Leute. Ich habe heute Nachmittag ein Fotoshooting und werde die freie Stunde nutzen, um bei meiner Kosmetikerin zu relaxen«, sagte Samantha.
Birte gab Magnolia einen freundschaftlichen Knuff. »Und wie sieht es bei dir aus? Gehst du mit?«
»Klar«, sagte Magnolia. »Die Gelegenheit, das ›Milky Way‹ ohne Samantha zu besichtigen, lasse ich mir doch nicht entgehen.«
Wie sich zeigte, war das »Milky Way« die Nachbildung einer amerikanischen Milchbar aus den Fünfziger Jahren und kleiner, als Magnolia es sich vorgestellt hatte. Es strotzte nur so vor buntem Neon und Chrom.
Außer einer langen Theke und ein paar Tischen gab es hier nur noch eine Musikbox und eine Tanzfläche im Schachbrettmuster.
Die Mädchen der 7c bestellten jeder einen Milchshake und gesellten sich damit zu den Jungen aus ihrer Klasse, die an einem der Tische saßen und eifrig in einer Zeitung blätterten.
Jetzt zur Mittagszeit waren sie die einzigen Gäste und Angelo, der Barkeeper, war froh, endlich Gesellschaft zu haben.
»Wenn ihr mich fragt, geht es hier nicht mit rechten Dingen zu«, sagte er kopfschüttelnd.
Die Mädchen sahen ihn verständnislos an.
»Was meinst du?«, fragte Merle schließlich.
»Na, den Artikel in der ›Umschau‹. Seit April sollen bereits vier Menschen aus Rauschwald verschwunden sein.«
»Die Letzte erst gestern Nacht«, mischte Daniel Fuchs sich ins Gespräch, ein schlaksiger Junge mit struppigem Haar.
»Ist es jemand, den wir kennen?«
Daniel zuckte die Schultern. »Sie heißt Christina Bade.«
»Christina?« Magnolia drängte sich nach vorn. »Lass mich mal sehen. Ist ein Bild von ihr in der Zeitung?«
Von der Titelseite der Umschau lachte Christinas pausbäckiges Gesicht.
Magnolia schluckte.
»Kennst du sie?«, fragte Birte.
Magnolia schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe sie nur einmal im Haus meiner Tante gesehen.«
»Ich kannte sie«, rief Angelo von hinten. »Sie hat im Hotel ›Unter den Linden‹ gearbeitet und war an den Wochenenden oft zum Tanzen hier. Ich glaube, sie war mit Theo Kussmann verlobt. Die Polizei soll ihn schon vernommen haben.«
»Vielleicht hatte sie von ihm die Nase voll und ist einfach abgehauen«, sagte Merle.
»Schließlich muss man nicht automatisch seinen Lebensabend in Rauschwald verbringen. Ich werde später auch nach Paris ziehen, in die Stadt der Künstler.« Übermütig schwenkte sie ihre rosa Brille.
Daniel verdrehte die Augen. »Komm runter, Merle! Die verschwundenen Menschen haben nicht einfach ihre Koffer gepackt und ein Bahnticket gekauft, verstehst du? Sie sind spurlos verschwunden.«
»Am Tag oder bei Nacht?«, fragte Magnolia.
»Unterschiedlich. Hier steht: ›Der genaue Zeitpunkt ist nur bei einem gewissen Rainer Kolbe bekannt. Er verschwand in der Mittagspause auf dem Weg von seiner Autowerkstatt zur
Weitere Kostenlose Bücher