Magnus Jonson 01 - Fluch
beanspruchten.
»Das können wir ein andermal besprechen. Wir möchten mit Ihnen über den Ring reden. Isildurs Ring, oder vielleicht nennen Sie ihn lieber Gauks Ring.«
»Verlassen Sie meinen Club, auf der Stelle!« Ásgrímssons Stimme war sehr bestimmt.
»Wir zahlen gut. Sehr gut«, sagte Isildur.
»Hören Sie mir zu!«, sagte Ásgrímsson mit roten Augen. »We gen dieser dämlichen Saga ist ein Mann gestorben. Zwei Männer, wenn man meinen Vater dazurechnet. Meine Familie hat sie aus gutem Grund jahrhundertelang geheim gehalten, aus einem sehr guten Grund, wie man jetzt sieht. Sie sollte immer noch geheim sein, und das wäre sie auch, wenn es nach mir gegangen wäre. Aber der Grund dafür, dass jetzt jeder von ihrer Existenz weiß, der sind Sie – Sie mit ihrer Rumschnüffelei, mit Ihren Dollars, die Sie überall herumschwenken.«
Er trat einen Schritt auf Isildur zu. »Sie haben das Ergebnis gesehen. Professor Agnar Haraldsson ist tot! Macht Ihnen das keine Schuldgefühle? Finden Sie nicht, dass Sie sich einfach so schnell wie möglich aus Island verpissen und nach Amerika verdrücken sollten?«
»Mr. Ásgrímsson ...«
»Raus!«, schrie Pétur und zeigte auf den Ausgang. »Raus, habe ich gesagt!«
Der Pastor schwitzte in der unverhältnismäßig warmen Sonne. Es war ein herrlicher Tag, er war schon gut sieben Kilometer gewandert. Er befand sich in einem Hochtal, das so früh im Jahr nicht mal von Schafen beweidet wurde. Ein Bach floss aus der schneebedeckten Heide über ihm. Um ihn herum schmolz der Schnee, tröpfelte, drippelte, sickerte über die Steine in die Erde. Das Gras, das in den letzten Tagen zum Vorschein gekommen war, warhauptsächlich gelb, nur am Ufer des Baches gab es einen Flecken mit saftig grünen Trieben. Frühling. Neue Nahrung für ein karges Land.
Um ihn herum zwitscherten und trillerten Vögel im Sonnenschein.
Der Pastor atmete tief durch. Er erinnerte sich an damals, als er erstmals in diesem Tal gewesen war, der neu bestellte Pastor von Hruni. Damals hatte er das Gefühl gehabt, dass Gott hier lebe.
Und auch jetzt war er wieder davon überzeugt.
Auf der linken Seite, am Seitenhang des Tals, zogen sich Felsen empor. Der Pastor bog vom Weg ab, falls man den Pfad überhaupt als solchen bezeichnen konnte, und stapfte durch das gelbe Gras zur Felswand. Er holte sein Notizbuch hervor.
Er musste ein gutes Versteck finden.
Tómas’ Festnahme als Verdächtiger im Mordfall Agnar Haraldsson war am Mittag in den Radionachrichten gemeldet worden. Als Erstes – kaum verwunderlich in Anbetracht von Tómas’ Prominenz. Kaum hatte der Pastor es vernommen, wusste er, dass er ein neues Versteck für den Ring finden musste.
Er hielt inne und betrachtete ihn am vierten Finger seiner rechten Hand. Er sah nicht aus, als wäre er tausend Jahre alt. Das war das Besondere an Gold – egal wie alt es war, wenn man es gründlich polierte, sah es aus wie neu. Oder noch neuer.
Der Ring hatte Kratzer und Macken. Aber die Runeninschrift war noch gerade eben lesbar.
Der Pastor musste daran denken, wie er ihn mit Ásgrím in der Höhle gefunden hatte. Nun, es war gar keine richtige Höhle gewesen, eher ein Loch im Felsen. Es war der großartigste, wichtigste Moment in seinem Leben gewesen. Und in dem von Ásgrím natürlich. Auch wenn es so gut wie sein letzter war.
Es war ein Wunder, dass das Loch nicht von einem der Vulkanausbrüche des vergangenen Jahrtausends zugeschüttet worden war, besonders von dem, der Gauks Hof unter sich begrub. Aber schließlich hatte der Ring viele Wunder bewirkt.
Seit fast zwanzig Jahren hatte der Pastor ihn immer wieder getragen. Er liebte ihn, er verehrte ihn. Manchmal saß er einfach nur da und betrachtete ihn, hörte dazu die Musik von Led Zeppelin oder Deep Purple und bestaunte seine Geschichte, seine Rätselhaftigkeit, seine Macht. Andwari, Odin, Hreidmar, Fafnir, Sigríd, Brynhild, Gunnar, Ulf Beinstutzer, Trandil, Ísildur und Gauk, sie alle hatten ihn besessen. Und jetzt gehörte er ihm. Dem Pastor von Hruni.
Unbegreiflich.
Doch obwohl der Ring ihm jedes Mal, wenn er ihn aufsetzte, ein umwerfendes Gefühl von Freude und Macht verlieh, war die Enttäuschung des Pastors mit der Zeit immer größer geworden. Er hielt sich selbst für einen ziemlich außergewöhnlichen Menschen, und er hatte angenommen, der Ring habe ihn wegen seines Wissens über den Teufel und Sæmundur erwählt. Deshalb hatte er sich in seine Studien gestürzt, doch nichts war geschehen.
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