Magnus Jonson 01 - Fluch
Hauswand, dazu das beharrliche Bassgebrumm gewaltiger Verstärker.
Das dicke Buch Der Herr der Ringe lag aufgeschlagen auf dem Boden, wo er es zwei Stunden zuvor hingelegt hatte. Daneben wirkte die Völsunga-Saga zwergenhaft.
Magnus sah auf die Uhr: fünf Minuten nach fünf.
Es war ein altbekannter Traum, der ihn seit der ersten Schießerei vor zwei Jahren nachts heimsuchte. Natürlich war es in Wirklichkeit anders gewesen als im Traum, der Junkie hatte nur zweimal auf O’Malley geschossen, ehe Magnus ihn umlegen konnte. Doch er hatte sich in vielen langen Nächten ergebnislos mit der Frage gequält, ob er nicht doch früher hätte schießen und O’Malley damit hätte retten können oder die Sache hinauszögern, sodass er niemanden hätte töten müssen.
Das alles war schon lange her. Magnus redete sich ein, dass er die zweite Schießerei deutlich besser verarbeitet hatte als die erste, schließlich war er inzwischen ein erfahrener Polizist. Aber vielleicht irrte er sich. Sein Unterbewusstsein brauchte Zeit, um sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen, und er konnte nichts dagegen tun, wie hart er als Cop auch sein mochte.
Verdammt!
Am Sonntagmorgen war im Präsidium der Polizei von Reykjavík eine Menge los. Erschöpfte Beamte in Uniform führten zitternde blasse Bürger durch die Gänge, die die letzten Stufen des allwöchentlichen Festnahmeverfahrens durchlaufen mussten. Glücklicherweise war die Demonstration vor dem Parlament am vergangenen Nachmittag relativ friedlich verlaufen; die meisten Personen wurden im Verlauf der anschließenden Besäufnisse aus dem Verkehr gezogen.
Sobald Magnus an seinem Schreibtisch war, fuhr er den Computer hoch. Als er die E-Mail von Johnny Yeoh sah, musste er grinsen. Auf den Jungen war Verlass.
Bei der morgendlichen Besprechung sah Baldur aus, als hätte auch er nicht viel geschlafen. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, seine Wangen waren grau und eingefallen. Magnus ließ den Blick über seine Kollegen am Tisch schweifen; sie hatten viel von ihrer anfänglichen Tatkraft eingebüßt.
Baldur begann mit den neuesten Ergebnissen der Spurensicherung. Drei der vier Fingerspuren im Haus hatten zugeordnet wer den können, und zwar Agnar, Steve Jubb und Andrea. Die Fußspuren stammten nachweislich von Steve Jubb. Jedoch war auf Jubbs Kleidung kein Blutfleck zu finden, nicht der winzigste Spritzer.
Baldur wollte von Magnus wissen, ob es machbar sei, jemandem auf den Kopf zu schlagen, ihn aus dem Haus und dann zwanzig Meter hinunter zum See zu schleppen, ohne eine Spur von Blut an der Kleidung zu haben. Magnus musste zugeben, dass es schwierig sei, aber nicht unmöglich.
»Ich habe gestern mit Agnars Frau gesprochen«, erklärte Baldur. »Sie war ganz schön sauer. Hatte nichts von dieser Andrea geahnt. Sie war überzeugt, ihr Mann hätte sein Versprechen gehalten, ein braver Junge zu sein. Außerdem hat sie sich Agnars Unterlagen angesehen und dabei entdeckt, dass er finanziell viel tiefer in der Klemme steckte, als sie gewusst hatte. Schulden, sehr hohe Schulden.«
»Wofür hat er das Geld denn ausgegeben?«, fragte Rannveig, die stellvertretende Staatsanwältin.
»Kokain. Darüber wusste sie Bescheid. Und er war ein Spieler. Sie schätzt, dass er um die dreißig Millionen Kronen Schulden hat. Die Kreditkartenunternehmen murrten bereits, die Bank ebenfalls, bei der sie die Hypothek für das Haus aufgenommen hatten. Aber jetzt ist er tot, und seine Lebensversicherung deckt alles ab.«
Magnus überschlug die Summen schnell im Kopf. Dreißig Millionen Kronen waren etwas mehr als zweihunderttausend Dollar. Selbst nach den Maßstäben der schuldengewohnten Isländer stand Agnar tief in der Kreide.
»Letztlich hatte Linda ein Motiv, ihren Mann umzubringen«, fuhr Baldur fort. »Sie sagt, sie sei am Donnerstagabend mit den Kindern allein gewesen. Aber sie hätte sie ohne weiteres ins Auto packen und nach Þingvellir fahren können. Schließlich können die Kinder nichts verraten, das eine ist gerade zur Welt gekommen, das größere noch keine zwei Jahre alt. Wir müssen sie im Auge behalten. Nun zu dir, Vigdís. Hast du mit der Frau aus Fluðir gesprochen?«
Vigdís gab kurz das Gespräch mit Ingileif wieder. Sie hatte Ingileifs Alibi überprüft: Die Frau war am fraglichen Abend tatsächlich bis um halb zwölf auf der Feier ihrer Künstlerfreundin gewesen. Und danach mit ihrem »alten Freund«, dem Maler, verschwunden.
»In der Hinsicht kann sie ja die Wahrheit gesagt
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