Magnus Jonson 01 - Fluch
letzten Jahrhunderts wurden sie an Island zurückgegeben. Seitdem waren sie in einem Institut untergebracht, das den Namen des großen Sammlers trug. »Willst du damit sagen, dass Agnar ein Exemplar gestohlen hat?«
»Vielleicht hat er es gegen eine Kopie ausgetauscht«, schlug Vigdís vor.
»Möglich«, sagte Magnus. »Oder er hat Isildur irgendeine hirnrissige Theorie angedreht. Vielleicht wollte er für ihn recherchieren.«
Baldur runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Könnte um Betäubungsmittel gehen«, sagte Rannveig. »Ich weiß, das ist nicht so spannend, aber in Island geht es bei illegalen Geschäften fast immer um Drogen.«
Eine Weile war es still am Tisch. Die stellvertretende Staatsanwältin konnte recht haben.
»Stand irgendwas in Agnars Unterlagen, das uns verraten könnte, worum es bei diesem Geschäft ging?«, fragte Rannveig.
»Nein, ich habe die meisten selbst durchgeschaut«, sagte Baldur. »Abgesehen von diesen E-Mails auf seinem Computer gibt es nichts über ein Geschäft mit Steve Jubb. Und die Dateien auf seinem Laptop stehen alle im Zusammenhang mit seiner Arbeit.«
»Woran arbeitete er denn?«, wollte Magnus wissen.
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, woran forschte er, als er starb?«
»Ich weiß nicht genau, ob er irgendetwas erforschte. Er korrigierte Examenstexte. Und übersetzte zwei Sagas ins Englische und Französische.«
Magnus beugte sich vor. »Welche Sagas?«
»Keine Ahnung«, sagte Baldur abwehrend. Es war ihm erkennbar unangenehm, bei seiner eigenen Besprechung Fragen beantwortenzu müssen. »Ich habe nicht alle Sachen durchgelesen. Das sind riesige Stapel.«
Magnus riss sich zusammen, um Baldur nicht noch mehr als notwendig auf die Palme zu bringen. »Kann ich mir die noch mal ansehen? Seine Arbeitsunterlagen, meine ich?«
Baldur schaute Magnus an, ohne seine Verärgerung zu verbergen. »Klar«, sagte er trocken. »Das ist ein guter Zeitvertreib für dich.«
Es kamen zwei Orte in Betracht: Agnars Büro an der Universität und sein Ferienhaus. An der Uni würden mehr Unterlagen sein, außerdem war sie näher. Wenn Agnar allerdings an etwas gearbeitet hätte, was wichtig für Steve Jubb war, dann wäre es eher im Ferienhaus, damit sie es für ihre Besprechung zur Hand gehabt hätten.
Und so brachte Árni Magnus hinaus zum Þingvellir-See. »Meinst du, Baldur lässt dich nach Kalifornien fliegen?«, fragte er.
»Weiß ich nicht. Er wirkte nicht gerade begeistert.«
»Wenn du fliegst, kannst du mich dann mitnehmen?« Árni warf Magnus einen kurzen Blick zu und bemerkte sein Zögern. »Ich habe meinen Abschluss in den USA gemacht und kenne mich daher mit den amerikanischen Dienstvorschriften aus. Außerdem ist Kalifornien meine geistige Heimat.«
»Was soll das denn heißen?«
»Du weißt schon, der Gouverneur.«
Magnus schüttelte den Kopf. Als Nächstes würde Árni ein persönliches Gespräch mit Arnold Schwarzenegger verlangen. Nein, Magnus wollte Lawrence Feldman lieber auf seine Weise besuchen, ohne seinen jungen isländischen Begleiter im Schlepptau. »Mal sehen.«
Ernüchtert fuhr Árni über den Pass hinter der Hochebene von Mosfell und zum See hinunter. Es regnete leicht, dazu wehte eine steife Brise. Eine Schar robuster isländischer Pferde vom Hof hinterden Ferienhäusern beobachtete ihre Ankunft. Die langen goldenen Mähnen hingen den Tieren in den Augen.
Magnus sah einen Jungen und ein Mädchen, die am Ufer des Sees spielten. Der Junge war ungefähr acht Jahre, das Mädchen deutlich jünger. Nur das Ferienhaus mit dem Range Rover davor war bewohnt. Agnars Grundstück galt immer noch als Tatort; gelbes Absperrband flatterte im Wind, ein Streifenwagen stand davor, in dem ein einsamer Polizist saß und ein Buch las. Schuld und Sühne von Dostojewski. Magnus lächelte. Überall auf der Welt lasen Polizisten gern Literatur über Verbrechen; es wunderte ihn nicht, dass die Isländer literarischer waren als ihre amerikanischen Kollegen.
Erfreut über den Besuch führte der Beamte Magnus und Árni ins Haus. Es war kalt und still. Fast alle glatten Oberflächen waren mit Fingerabdruckpulver bestäubt, was den Eindruck der Trostlosigkeit noch verstärkte. Die Blutspuren auf dem Boden waren mit Kreide umrissen.
Magnus untersuchte den Schreibtisch: Schubladen voller Papier, hauptsächlich Ausdrucke von Dateien. Links daneben stand ein niedriger Schrank, in dem noch mehr Papier lag.
»Okay, du nimmst dir den Schrank vor, ich den
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