Magnus Jonson 01 - Fluch
Schreibtisch«, sagte Magnus und zog weiße Latexhandschuhe über.
Der erste Stapel, den er untersuchte, war eine französische Übersetzung der Laxdæla-Saga. Die erste Hälfte des Manuskripts war mit Kommentaren auf Französisch versehen. Magnus hatte an der Schule ein bisschen Französisch gelernt und nahm an, dass Agnar die Arbeit eines Übersetzers korrigiert oder kommentiert hatte, wahrscheinlich die eines Isländisch sprechenden Franzosen.
»Was hast du da, Árni?«
»Gauks Saga«, erwiderte er. »Kennst du die?«
»Nein«, sagte Magnus. Das war nicht unbedingt verwunderlich. Es gab Dutzende Sagas, viele wohlbekannte, einige weniger verbreitete. »Warte mal kurz, war Gauk nicht dieser Typ, der in Stöng lebte?«
»Genau« bestätigte Árni. »Ich bin als Kind mal da gewesen. Hat mir riesigen Respekt eingeflößt.«
»Kann ich gut verstehen«, sagte Magnus. »Ich war mit sechzehn Jahren mal mit meinem Vater da. Der Ort hat echt was Gruseliges.«
Stöng war ein verlassener Bauernhof, ungefähr zwanzig Kilometer nördlich des Vulkans Hekla. Durch einen gewaltigen Ausbruch im Mittelalter war er unter Asche begraben und erst im zwanzigsten Jahrhundert wiederentdeckt worden. Der Hof lag am Ende eines unbefestigten Weges, der sich durch eine geschwärzte, trostlose Landschaft wand: Sandhügel und kleine Lavafelsen, zu grotesken Formen verdreht. Als Magnus später von der Apokalypse las, musste er an den Weg nach Stöng denken.
»Lass mich mal sehen!«
Árni reichte Magnus das Manuskript. Es waren ungefähr hundertzwanzig frisch gedruckte Seiten auf Englisch. Auf dem Titelblatt stand schlicht: »Gauks Saga, übersetzt von Agnar Haraldsson«.
Magnus blätterte um, überflog den Text. Auf der zweiten Seite stolperte er über ein Wort, das ihn sofort stutzen ließ.
Ísildur.
»Árni, sieh dir das an!« Schnell blätterte er weiter . Ísildur. Ísildur. Ísildur. Ísildur.
Auf jeder Seite tauchte der Name mehrmals auf. Ísildur war keine Nebenfigur in dieser Saga, er war die Hauptfigur.
»Wow!«, machte Árni. »Sollen wir sie mit ins Präsidium nehmen, damit die Technik einen Blick drauf werfen kann?«
»Erst lese ich sie«, sagte Magnus. »Dann kann die Technik sie haben.«
Mit diesen Worten setzte er sich in einen bequemen Sessel und begann zu lesen. Wenn er ein Blatt durchhatte, reichte er es vorsichtig an Árni weiter.
Ísildur und Gauk waren zwei Brüder, die auf einem Hof namens Stöng lebten. Der dunkelhaarige Ísildur war kräftig und mutig. Da er eine Hasenscharte hatte, fanden ihn manche hässlich. Er war ein begabter Holzschnitzer. Obwohl Gauk zwei Jahre jünger war als Ísildur, übertraf er ihn noch an Kraft. Er war ein gutaussehender Mann mit blondem Haar, aber auch eitel. Im Umgang mit der Streitaxt war er sehr geübt. Beide Brüder waren aufrichtige Menschen und in der Gegend sehr beliebt.
Eines Tages machte sich ihr Vater Trandil auf, um seinem Onkel in Norwegen einen Besuch abzustatten und an den Raubzügen der Wikinger teilzunehmen. Die Mutter war gestorben, als die Jungen noch klein waren, deshalb schickte Trandil sie zur Pflege zu seinem Freund Ellíða-Grím von Tunga. Ellíða-Grím erklärte sich einverstanden, den Hof von Stöng in Trandils Abwesenheit zu führen. Er hatte selbst einen Sohn, Ásgrím, der im selben Alter wie Ísildur war. Die drei Jungen freundeten sich schnell an.
Drei Jahre war Trandil fort. Im Sommer zog er plündernd und handelnd durch das Baltikum und durch Irland, die Winter verbrachte er bei seinem Onkel, Graf Gandalf dem Weißen, in Norwegen.
Eines Tages kam ein Reisender mit einer Nachricht aus Nor wegen nach Tunga. Im Kampf mit Erlendur, Gandalfs Sohn, sei Trandil getötet worden. Gandalf sei bereit, die fällige Wiedergutmachung an Trandils Söhne zu bezahlen und ihnen ihr Erbe zu übergeben, wenn einer der Brüder nach Norwegen käme, um es dort abzuholen.
Als Ísildur neunzehn war, beschloss er, seinen Großonkel inNorwegen zu besuchen und sein Erbe anzutreten. Gandalf und sein Sohn Erlendur hießen ihn mit großer Wärme und Gastfreundschaft willkommen. Gandalf sagte, Erlendur habe Trandil aus Selbstschutz getötet, als Trandil ihn im Rausch angriff . Andere Männer, die bei Trandils Tod zugegen gewesen waren, bestätigten vor Gericht, es sei tatsächlich so gewesen.
Ísildur beschloss, den Sommer über mit Erlendur auf die Raubzüge der Wikinger zu gehen. Sie zogen nach Kurland und Karelien im östlichen Baltikum. Ísildur war ein tapferer
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