Magnus Jonson 01 - Fluch
dämlich. Boston war nicht mehr im Entferntesten die Brutstätte der Korruption wie vor zwanzig Jahren, aber Menschen, die sich gegen die Oberschicht der Stadt auflehnten, würden niemals von ihr akzeptiert werden.
Selbst in Colbys Firma, die medizinische Instrumente produzierte,gab es Situationen, in denen man wegsehen musste und keine Fragen stellte. Das ging nicht anders, wenn man wollte, dass die Firma erfolgreich war. Colbys Aufgabe war es, ihre Firma vor den gesetzlichen Risiken des Handels zu schützen, nicht die Welt von der Unehrlichkeit zu befreien.
Magnus würde niemals zur Rechtsakademie gehen. Er würde wahrscheinlich nicht mal bei der Polizei die Karriereleiter hinaufsteigen.
Ein Loser.
Und deshalb hatte Colby eingewilligt, als ein schlanker, gut gekleideter Anwalt, mit dem sie ein Jahr zuvor schon einmal zu tun gehabt hatte, mit ihr in der U-Bahn zusammenstieß und sie zu einer Tasse Kaffee einlud.
Und deshalb hatte sie auch zugesagt, als er anrief und sie zum Essen einlud.
Er hieß Richard Rubinstein. Niedlich, wenn auch für ihren Geschmack ein bisschen zu glatt. Selbstverständlich Jude. Colby hatte ihn gegoogelt und herausgefunden, dass er gerade Partner einer Anwaltskanzlei im Zentrum von Boston geworden war. Was nicht unbedingt ausschlaggebend war, aber ihr verriet, dass er kein Loser war. Und anders als fast all ihre Bekannten ahnte er nichts von Magnus, hatte noch nie von ihm gehört, wusste also nicht, dass sie in den letzten drei Jahren einen Freund gehabt hatte.
Sie würde jetzt ihren Spaß haben. Aber nicht mit Magnus’ Ohrringen.
Colby nahm sie ab, ersetzte sie durch ein Paar schlichter Perlen und ging nach draußen in den warmen Abend.
In einem Auto auf der anderen Straßenseite wurde sie von Diego beobachtet. Er betrachtete ein Foto auf seinem Schoß. Ja, das war das Mädchen.
Nach ihrer Kleidung zu urteilen, würde sie eine Weile unterwegssein. Das würde ihm genügend Zeit geben, sich unbemerkt ins Haus und in ihre Wohnung zu schleichen.
Blieb noch das Problem mit dem Cop, der direkt vor dem Gebäude allein in seinem Streifenwagen saß. Aber wenn sich Diego auch nur ein bisschen mit den Cops auskannte, dann würde der hier bald Hunger bekommen.
Und tatsächlich, kaum war die Frau die Straße hinunter verschwunden, sprang der Motor an, und der Streifenwagen fuhr los.
Genug Zeit, um sich eine Pizza oder einen Burger zu holen, bis die Frau zurückkam.
Diego stieg aus dem Auto und überquerte die Straße.
Magnus ging vom Polizeipräsidium zu Fuß zurück zu seiner neuen Unterkunft in Þingholt. Er genoss die frische Luft und die Bewegung. Und wenn man eines über die Luft in Reykjavík sagen konnte, dann, dass sie frisch war.
Sein Kopf brummte von den Ereignissen des Tages. Es war noch zu früh für ein abschließendes Urteil, doch nach den Worten von Professor Moritz enthielt die Übersetzung von Gauks Saga keinen Hinweis darauf, dass es sich um eine Fälschung handelte. Man merkte, dass der Professor die Saga unbedingt beglaubigen wollte, aber er gab zu, wenn irgendjemand eine Saga fälschen könnte, dann wäre es Agnar.
Was eine andere interessante Möglichkeit ins Spiel brachte. Viel leicht hatte Steve Jubb entdeckt, dass das von Agnar für so viele Millionen Dollar angebotene Dokument in Wirklichkeit eine Fälschung war, und den Professor deswegen umgebracht.
Magnus war immer noch nicht überzeugt, dass Ingileif die ganze Wahrheit sagte. Doch bei dem Gespräch am Nachmittag hatte sie deutlich ehrlicher gewirkt. Und er musste zugeben, dass er ihre Mischung aus Verletzlichkeit und Entschlossenheit sehr anziehend fand.
Mit einem Lächeln erinnerte er sich an Officer O’Malleys weisenRatschlag, als er vor vielen Jahren seinen Dienst angetreten hatte: »Nur weil ein Mädchen einen schönen Hintern hat, sagt es noch lange nicht die Wahrheit.«
Es bestand kein Zweifel, dass Ingileif einen schönen Hintern hatte.
Von Steve Jubb würden sie nichts erfahren, erst recht nicht, wenn er so schuldig war, wie Magnus vermutete. Er musste schnellstens nach Kalifornien fliegen und mit Isildur sprechen. Ihn einschüchtern mit einer Anklage wegen Verabredung zum Mord und so zum Singen bringen. Magnus würde das schaffen, davon war er überzeugt.
»Magnus!«
Er befand sich in einer kleinen Straße unweit von Katríns Haus, ziemlich weit oben am Hang. Als er sich umdrehte, bewegte sich eine Frau, die ihm vage bekannt vorkam, zögernd auf ihn zu. Sie war um die vierzig, hatte
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