Magnus Jonson 01 - Fluch
hätte, er wärefroh, dass er tot sei. Das beschwor die ganzen Schmerzen jener letzten Jahre herauf, bevor Dad mich nach Amerika mitnahm. Ich wollte nur noch weg und schwor mir, nie mehr zurückzukommen.«
»Und jetzt bist du doch wieder hier«, sagte Sigurbjörg. »Und? Gefällt’s dir?«
»Schon«, sagte Magnus. »Ich glaube, ja.«
»Bis du mich getroffen hast?«
Magnus lächelte. »Ich weiß noch, wie einfühlsam du mir gegen über warst, ganz anders als der Rest der Familie. Vielen Dank dafür. Aber tu mir bitte einen Gefallen: Erzähl niemandem, dass ich hier bin.«
»Ach, die können dir heute nichts mehr tun. Großvater muss fünfundneunzig sein, und Großmutter ist auch nicht viel jünger.« »Ich bezweifle aber, dass sie altersmilde geworden sind.« Sigurbjörg lächelte. »Stimmt, das sind sie nicht.«
»Und soweit ich mich erinnern kann, war der Rest der Familie genauso feindselig.«
»Sie werden drüber hinwegkommen«, sagte Sigurgbjörg. »Es ist viel Zeit vergangen.«
»Ich verstehe einfach nicht, warum alle so böse waren«, sagte Magnus. »Ich weiß, dass mein Vater Mom verlassen hat, aber sie machte ihm wirklich das Leben zur Hölle. Sie war Alkoholikerin, vergiss das nicht.«
»Aber das war es ja gerade«, sagte Sigurbjörg. »Sie fing doch nur zu trinken an, weil sie von seiner Affäre erfuhr. Damit nahm alles seinen Anfang. Dass dein Vater ging. Sie ihre Arbeit verlor. Und dann der schreckliche Autounfall. Großvater gibt deinem Vater die Schuld an allem, daran wird sich nie etwas ändern.«
Lautstark nahm eine Gruppe von zwei Männern und einer Frau den Tisch neben ihnen in Beschlag und begann über eine Fernsehsendung zu diskutieren, die sie am Vorabend gesehen hatten.
Magnus beachtete sie nicht. Er starrte ins Leere.
»Was ist? Was ist los, Magnus?«
Magnus antwortete nicht.
»Ach, du liebe Güte! Du hast nichts davon gewusst? Keiner hat dir was erzählt?«
»Was für eine Affäre?«
»Vergiss, was ich gesagt habe. Hör zu, ich muss los.« Sigurbjörg wollte aufstehen.
Magnus griff nach ihrer Hand. »Was für eine Affäre?« Zorn stieg in ihm auf.
Sigurbjörg setzte sich wieder und schluckte. »Dein Vater hatte ein Verhältnis mit der besten Freundin deiner Mutter. Sie bekam es heraus, die beiden hatten einen furchtbaren Streit, deine Mutter fing an zu trinken.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Magnus.
Sigurbjörg zuckte mit den Achseln.
»Bist du dir sicher, dass das stimmt?«
»Nein, bin ich nicht«, sagte Sigurbjörg. »Aber ich nehme es an. Hör mal, es muss noch andere Probleme gegeben haben. Ich mochte deine Mutter wirklich gern, besonders bevor sie mit dem Trinken anfing, aber sie war immer schon ein bisschen überdreht. Na ja, bei den Eltern wundert einen das kaum.«
»Dann stimmt es also«, sagte Magnus. »Du hast recht, es kann nicht anders sein. Ich kann es bloß kaum glauben.«
»Ach, Magnus, es tut mir echt leid, dass du das von mir erfahren musstest.« Sigurbjörg legte ihre Hand auf seine. »Aber jetzt muss ich wirklich los. Und ich verspreche dir, den Großeltern nicht zu verraten, dass du hier bist.«
Und mit diesen Worten eilte sie davon.
Magnus starrte auf seine Kaffeetasse, die noch zu einem Viertel gefüllt war. Er musste etwas trinken. Etwas Alkoholisches.
Es war nicht weit bis zu der Kneipe, wo er am Vorabend gewesen war, das Grand Rokk. Magnus bestellte ein Thule und zum Nachspülen denselben Schnaps, den alle Gäste an der Theke tranken. Es war irgendein Kümmelschnaps, süß und stark, aber inOrdnung, wenn man ihn zusammen mit dem Bier hinunterschluckte.
Sigurbjörg hatte gerade sein gesamtes Weltbild auf den Kopf gestellt. Die Geschichte seines Lebens, wer er war, wer seine Eltern waren, wer recht hatte und wer nicht, war gerade erschüttert worden. Sein Vater hatte seiner Mutter nie die Schuld an dem gegeben, was geschehen war. Das hatte nur Magnus getan.
Sie hatte seinen Vater vertrieben. Durch die Trinkerei hatte sie Magnus vernachlässigt und ihn durch ihren Tod verlassen. Ragnar hatte seine Söhne heldenhaft gerettet, bis er grausam ermordet worden war, wahrscheinlich von der bösen Stiefmutter.
Das war die einfache Fassung von Magnus’ Kindheit. Das hatte ihn zu dem gemacht, was er war.
Und jetzt sollte das alles nicht mehr wahr sein.
Noch ein Bier, noch ein Schnaps.
Kurz, nur für einen Moment, liebäugelte Magnus mit der Idee, dass die Affäre eine Erfindung seines Großvaters war, um einen Grund für den Hass auf Magnus’
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