Magnus Jonson 01 - Fluch
Du bist: Fahr zur Hölle! Und komm nie wieder auf die Idee, mich anzusprechen!
C.
Die Mitteilung wurde von einer kurzen E-Mail begleitet:
Hallo, Magnus,
entschuldige bitte die verspätete Weiterleitung – ich war gestern nicht im Büro. Ich klemme mich hinter die Sache.
Agent Hendricks
Magnus starrte auf den Bildschirm. Er wurde von Gefühlen überwältigt, bekam fast keine Luft mehr.
Wut auf den Kerl, der Colby das angetan hatte. Auf Williams, der sie nicht beschützt hatte. Auf Colby selbst, weil sie nicht einsehen wollte, dass es nicht Magnus’ Schuld war.
Wut auf sich selbst, dass es so weit gekommen war. Schuldgefühle, weil es selbstverständlich sein Fehler war. Machtlosigkeit, hier in Reykjavík zu sitzen, Tausende von Kilometern entfernt.
Schuldgefühle, weil er in den letzten vierundzwanzig Stunden nur sehr selten an Colby gedacht hatte, ja sie fast vergessen hatte, als sie sich in größter Gefahr befand.
Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Es waren nur zwei weitere Kollegen im Raum, die sich verwundert zu ihm umdrehten.
Zumindest hatte Colby nicht verraten, wo er sich aufhielt. Obwohl es Magnus im Moment eigentlich egal war. Am liebsten hätte er das nächste Flugzeug nach Boston genommen, Pedro Soto höchstpersönlich aufgespürt und ihn ins Jenseits befördert. Warum sollte er sich hier in Island herumdrücken? Er war kein Feigling.
Über Agent Hendricks schrieb Magnus eine zornige E-Mail an Deputy Superintendent Williams, teilte ihm mit, was passiert war, und fragte ihn, wo denn bitte der Schutz gewesen sei, den er Magnus versprochen hatte.
Wenn die Bostoner Polizei Colby nicht schützen konnte, dann würde Magnus rüberfliegen und es selbst erledigen. War ja nicht so, dass man ihn in Island sinnvolle Arbeit tun ließ.
Ingileif saß im Café Mokka und spielte mit ihrer Latte. Sie mochte das Café, eines der ältesten in Reykjavík, auf der Ecke von Skólavörðustígur und Laugavegur. Klein, gemütlich, holzvertäfelt, war es berühmt für seine Waffeln und seine Gäste: Künstler, Dichter, Schriftsteller. Die Wände fungierten als Ausstellungsfläche für ortsansässige Künstler, jeden Monat wurde ein anderer vorgestellt. Im März war es Ingileifs Kollegin aus der Galerie gewesen.
Auf dem Tisch lag eine Zeitung, aber Ingileif las nicht darin. Es war ein guter Nachmittag gewesen – sie hatte sechs Vasen im Wert von mehreren hunderttausend Kronen verkauft. Aber sie hatte auch ein unangenehmes Gespräch mit einer ihrer Kolleginnen gehabt, in dem es um die verzögerten Zahlungen von Nordidea ging.
Ingileif hatte nicht ausdrücklich gelogen, aber die Wahrheit hatte sie auch nicht gesagt.
Die ganze Angelegenheit mit der Saga und Agnars Tod rief Erinnerungen an ihren Vater wach. Ingileif wusste noch genau, wie der letzte Morgen gewesen war. Ihr Vater wollte gerade mit seinem Rucksack das Haus verlassen, als er innehielt und seiner Tochter noch einen Abschiedskuss gab. Bis heute hatte sie vor Augen, was er angehabt hatte – seinen blauen Anorak, die neuen leichten Wanderstiefel. Sie konnte sich an seinen Geruch erinnern, an die Pfefferminzbonbons, die er immer lutschte. Und sie wusste noch, wie wütend sie auf ihn gewesen war, weil er ihr am Vorabend verboten hatte, bei einer Freundin zu übernachten. An jenem schrecklichen Morgen hatte sie ihm immer noch nicht so recht verziehen.
Um den Tod von Agnar kreisten zahlreiche Fragen, aber damals bei ihrem Vater hatte man nur sehr wenige gestellt. In Island kam es nur allzu häufig vor, dass ein Mensch im Schneesturm tödlich verunglückte, es war ein konstanter Bestandteil isländischen Lebens über Jahrhunderte hinweg.
Vielleicht hätte man damals mehr Fragen stellen sollen. Viel leicht sollte man es jetzt tun.
»Hi, Inga!«
Die anderen Gäste des Cafés schauten zu dem Mann hinüber, der auf Ingileif zukam, doch nach wenigen Sekunden führten sie ihre Gespräche weiter oder senkten den Blick wieder in ihre Zeitung. In Island war man stolz darauf, dass berühmte Menschen ihr Leben unbehelligt in der Öffentlichkeit führen konnten. Obwohl es in Wirklichkeit ja nur eine wahre Berühmtheit gab, und das war Björk. Doch die Bewohner von Reykjavík ließen sie in ihrer Stadt in Ruhe.
»Tómas! Wie schön, dich zu sehen!« Ingileif stand auf und gab dem Mann einen Kuss auf die Wange.
»Warte mal kurz«, sagte er. »Ich hole mir schnell einen Kaffee. Willst du auch noch einen?«
Sie schüttelte den Kopf, und ihr Begleiter ging zur
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