Magnus Jonson 01 - Fluch
Theke, wo er einen doppelten Espresso bestellte. Seine Gesichtszüge waren Ingileif sehr vertraut: die runde Brille, die vorstehenden Schneidezähne, seine Pausbacken, das schüttere, zurückgekämmte, mausgraue Haar. Zum Teil war Tómas ihr sicherlich so nah, weil sie ihn einmal pro Woche im Fernsehen sah, andererseits lag es auch an ihrer gemeinsam verbrachten Kindheit.
Tómas kehrte an den Tisch zurück. »Wie sieht’s aus?«, fragte er. »Ich war letztens in deiner Galerie. Du warst nicht da, aber ihr habt schöne Sachen. Läuft bestimmt gut, oder?«
»Doch«, sagte Ingileif.
»Aber?« Er bemerkte das Zögern in ihrer Antwort. Tómas fiel so etwas auf.
»Zu gut«, gestand Ingileif. »Unser größter Kunde ist letzten Monat pleite gegangen und schuldet uns eine Menge Geld.«
»Und die Bank ist keine große Hilfe?«
»Ganz richtig. Vor ein paar Jahren haben sie uns das Geld hinterhergeworfen, und jetzt können sie es nicht schnell genug zurückbekommen. Wir haben einen von diesen Krediten in ausländischer Währung, die einfach immer teurer werden.«
»Na, viel Glück damit«, sagte Tómas. »Du schaffst das schon.«
»Danke.« Ingileif lächelte. »Und wie geht’s dir? Deine Sendung läuft ja super. Fand ich klasse, wie du letzte Woche dem britischen Botschafter auf den Zahn gefühlt hast.«
Tómas grinste breit, seine Wangen wurden dick wie die eines Eichhörnchens. »Er hatte es verdient. Ich meine, sich die größte Bank unseres Landes mit Hilfe von Antiterrorgesetzen unter den Nagel zu reißen! Was würden die Engländer wohl sagen, wenn die Amerikaner so was mit ihnen machten?«
»Und der Banker eine Woche davor. Der sich drei Monate vor der Pleite seiner Bank einen Bonus von vier Millionen Dollar ausgezahlt hat.«
»Zumindest besaß der so viel Anstand, nach Island zurück zukehren, um sich der Kritik zu stellen«, sagte Tómas. »Aber das ist auch das Problem, nicht? Ich bekomme in nächster Zeit mit Sicherheit keinen Banker oder Botschafter mehr in die Sendung. Ich bewege mich auf einem schmalen Grat: Für die Zuschauer muss ich respektlos sein, aber ich darf auch nicht zu aggressiv auftreten, sonst vergraule ich mir die Gäste.«
Er nippte an seinem Espresso. Der Ruhm bekam ihm gut, fand Ingileif. Sie hatte Tómas immer gemocht, er hatte einen warmen, umgänglichen Humor, war aber früher immer ein bisschen schüchtern gewesen, hatte zu wenig Selbstbewusstsein gehabt. Jetzt, da man ihn im ganzen Land kannte, hatte diese Schüchternheit abgenommen. Doch sie war nicht völlig verschwunden. Gerade das machte einen Teil seines Charmes aus.
»Hast du von Agnar Haraldsson gehört?«, fragte Tómas und betrachtete Ingileif aufmerksam durch seine Brille.
»Ja«, erwiderte sie schlicht.
»Ich meine, du hättest mal was mit ihm gehabt.«
»Stimmt«, gab Ingileif zu. »Großer Fehler. Na ja, war wohl nur ein kleiner Fehler, aber trotzdem.«
»Muss ein ganz schöner Schock gewesen sein. Sein Tod, meine ich. Schließlich hab ich schon einen Schreck bekommen, und ich kannte ihn kaum.«
»Ja«, sagte Ingileif, und ihre Stimme war plötzlich rau. »Das war es.«
»Hat sich die Polizei gemeldet?«
»Warum sollte sie?«, fragte Ingileif. Sie merkte, dass sie rot wurde.
»Ist ein großer Fall. Große Ermittlung. Sie war doch da, oder?« Ingileif nickte.
»Und? Kommt sie voran? Gab es nicht eine Festnahme?«
»Ja, ein Engländer. Die Polizei glaubt, er hätte irgendein krummes Geschäft mit Agnar gemacht. Aber ich glaube, es gibt nicht genug Beweise dafür.«
»Hattest du ihn in letzter Zeit mal gesehen?«
Erneut nickte Ingileif. Als sie Tómas’ hochgezogene Augen brauen sah, wiegelte sie ab. »Nein, nicht, was du denkst. Er ist verheiratet, und er ist ein Herumtreiber. Ich habe einen besseren Geschmack.«
»Das freut mich zu hören«, sagte Tómas. »Du spielst in einer ganz anderen Liga.«
»Das ist so freundlich von dir«, gab Ingileif mit gespielter Höflichkeit zurück.
»Und? Worüber hast du mit ihm gesprochen?«
Kurz überlegte Ingileif, ob sie Tómas von der Saga erzählen sollte. Bald würde es ohnehin an die Öffentlichkeit gelangen, und er war schließlich ein alter Freund von ihr. Doch dann entschied sie sich dagegen. »Warum willst du das wissen?«
»Bin nur neugierig. Das stand in allen Zeitungen.«
»Doch nicht für deine Sendung, oder?«
»Du lieber Himmel, nein!« Tómas merkte, dass sein Leugnen nicht überzeugend genug war. »Ich verspreche es dir. Hör mal, tut mir
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