Magnus Jonson 01 - Fluch
aufgewacht.
Baldur stellte sich und Vigdís vor und drängte in die Wohnung.
»Worum geht’s denn?«, fragte Tómas blinzelnd.
»Um den Mord an Agnar Haraldsson.«
»Aha. Dann nehmt mal besser Platz.«
Die Sitzmöbel waren aus teurem cremefarbenem Leder. Der Blick auf die Bucht war umwerfend, auch wenn gerade in diesem Moment eine dunkle Wolke über dem noch dunkleren Meer schwebte. Nur die unteren rund dreißig Meter von Esja waren zu sehen, doch bei dem trüben Wetter konnte man keinen Blick auf den Gletscher Snæfellsnes erhaschen.
»Was wisst ihr denn?«, fragte Tómas.
»Ich möchte lieber fragen, was du weißt«, gab Baldur zurück. »Angefangen mit deinen Tätigkeiten am Donnerstag, dem Dreiundzwanzigsten. Letzten Donnerstag.«
Tómas sammelte sich. »Ich bin spät aufgestanden. Hab mir zu Mittag ein Sandwich und eine Tasse Kaffee geholt. Dann bin ich rüber zur Universität gefahren.«
»Weiter!«
»Ich habe Agnar Haraldsson gesucht und einen Studenten gefragt, der meinte, er könnte in seinem Ferienhaus am Þingvellir-See sein. Also bin ich dahin gefahren.«
»Um wie viel Uhr war das?«, fragte Vigdís mit gezücktem Stift, das Notizbuch vor sich.
»Ich war so gegen vier Uhr da. Glaube ich. Keine Ahnung. Ich weiß es nicht mehr genau. Kann nicht groß vor halb vier gewesen sein, vielleicht war’s auch etwas nach vier.«
»Und Agnar war da?«
»Ja. Ich trank eine Tasse Kaffee. Wir unterhielten uns ein bisschen. Dann fuhr ich wieder zurück.«
»Aha. Und um wie viel Uhr war das?«
»Weiß ich nicht. Ich hab nicht auf die Uhr geschaut. Ich war ungefähr eine Dreiviertelstunde bei ihm.«
»Das heißt, es war etwa Viertel vor fünf?«
»So ungefähr.«
Baldur schwieg. Tómas sagte ebenfalls nichts. Vigdís kannte das Spielchen: Sie saß reglos da, den Stift in der Hand.
»Worüber habt ihr euch unterhalten?«, fragte Baldur schließlich.
»Ich wollte mit ihm ein mögliches Fernsehprojekt über Sagas besprechen.«
»Was für ein Projekt?«
»Tja, darum ging’s ja. Ich hatte keine genauere Vorstellung. Irgendwie hatte ich die Hoffnung, Agnar hätte einen Vorschlag. Hatte er aber nicht.«
»Deshalb bist du wieder gefahren?«
»Genau.«
»Und was hast du dann gemacht?«
»Bin zurück nach Hause gefahren. Hab mir einen Film angesehen, auf DVD. Ein bisschen getrunken. Genau genommen, ein bisschen mehr.«
»Allein?«
»Ja«, sagte Tómas.
»Trinkst du oft allein?«
Tómas holte tief Luft. »Ja«, wiederholte er.
Vigdís sah sich in der Wohnung um. Im Mülleimer lag eine leere Whiskyflasche. Dewar’s.
»War es das erste Mal, dass du Agnar getroffen hast?«, fragte Baldur.
»Nein«, antwortete Tómas. »Ich hatte ihn schon ein, zwei Mal gesehen. Er war mein Gewährsmann für Sagas.«
Baldurs langes Gesicht war undurchdringlich, doch Vigdís spürte seine Erregung. Tómas tischte ihnen Märchen auf, und Baldur wusste es.
»Und warum hast du dich bisher nicht bei uns gemeldet?«, fragte er freundlich.
»Hm. Ich habe in den Zeitungen nichts über den Mord gelesen.«
»Ach, komm mir doch nicht so, Tómas! Es ist doch dein Job, dich auf dem Laufenden zu halten! Die Zeitungen waren voll davon.« »Na ja ... ich wollte nicht mit reingezogen werden. Ich dachte, es wäre nicht wichtig.«
Jetzt konnte Baldur sich nicht länger zusammenreißen. Er musste lachen. »Na klar, Tómas. Du kommst jetzt mit uns auf die Dienststelle, aber da erzählst du uns besser eine andere Geschichte, nicht diesen Schwachsinn. Ich würde es mal mit der Wahrheit probieren, das funktioniert meistens. Aber vorher zeigst du mir noch, welche Sachen du an dem Tag anhattest. Und welche Schuhe.«
»Du kannst doch nicht Steve Jubb freilassen!« Magnus schrie beinahe.
Baldur stand im Gang vor dem Vernehmungszimmer und sah ihn an. »Das kann ich, und das werde ich. Wir haben keine Beweise, um ihn länger festzuhalten. Wir wissen, dass an dem Abend noch jemand bei Agnar war, als Steve Jubb schon wieder nach Reykjavík zurückgefahren war. Und derjenige warf Agnar in den See.«
»Behauptet ein vierjähriges Mädchen.«
»Sie ist fünf. Aber der Punkt ist, dass alle Ergebnisse der Spurensicherung das bestätigen.«
»Aber was ist mit den Eltern? Die müssten doch gehört haben, wenn nach halb zehn ein Auto an ihrem Haus vorbeifährt.«
»Das haben wir überprüft. Sie sind früh ins Bett gegangen. Ihr Schlafzimmer geht nach hinten raus. Und sie waren beschäftigt.« »Beschäftigt? Womit?«
»Beschäftigt mit dem, was
Weitere Kostenlose Bücher