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Magnus Jonson 02 - Wut

Magnus Jonson 02 - Wut

Titel: Magnus Jonson 02 - Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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auch ernst«, sagte Magnus. »Das würde die Ermittlung versauen.«
    »Ach, sei doch nicht so ein Paragraphenreiter. Es wäre irgendwie lustig. Ich könnte den Fall für dich lösen.«
    »Nein, Ingileif«, sagte Magnus. »Nein.«

    Mehrere Stunden später lagen sie in Ingileifs Bett. Magnus konnte nicht schlafen. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, spürte aber, dass sie ebenfalls wach war.
    Sie strich über seine Schulter.
    »Magnús?«
    »Ja?«
    »Denkst du an Bjarnarhöfn?«
    »Ja.«
    Sie zog an seiner Schulter, so dass er sich auf den Rücken drehte. Zärtlich küsste sie ihn auf den Mund. »Erzähl es mir. Wenn du willst.«
    »Gut.« Magnus schluckte. »Mach ich.«
    Und so erzählte er es ihr.

26
    Januar 1986

    Magnus schlüpfte aus dem Bauernhaus in die frische kalte Luft und stolperte durch den Schnee in Richtung Meer. Er musste allein sein.
    Es war Nacht. Sie hatten gerade gegessen, und Großvater hielt Óli einen Vortrag, weil er ins Bett gemacht hatte.
    Weihnachten war gar nicht so schlimm gewesen. Die Verwandten aus Kanada waren zu Besuch gewesen: Onkel, Tante und Cousine, zur Freude des Großvaters. Er hatte eine Phase überschwänglicher guter Laune gehabt. Es herrschte weihnachtliche Stimmung. Die Weihnachtsgesellen waren gekommen und hatten kleine Geschenke in die Schuhe von Magnus und Óli gesteckt.
    Das Weihnachtsessen war ein erinnerungswürdiges Gastmahl gewesen: Schneehuhn, in Butter und Zucker gebratene Kartoffeln – Magnus’ Leibspeise –, gefolgt von Laufabrauð und Eiscreme. Die Tante und der Onkel aus Kanada schenkten Magnus einen amerikanischen Polizeiwagen mit Sirene und Blaulicht. Vielleicht ein wenig kindisch, aber er gefiel ihm. Óli schien sich zum ersten Mal seit Monaten wirklich zu freuen.
    Anschließend war alles schlimmer geworden, wie Magnus geahnt hatte. Óli bekam wieder Angst und machte ins Bett. Nach Neujahr waren die Verwandten abgereist und hatten die Jungen mit ihren Großeltern allein auf dem Bauernhof zurückgelassen.
    Und Großvater hatte schlechte Laune.
    Magnus trottete an dem Kirchlein vorbei zum Meer und setzte sich auf einen Fels. Er ließ den Blick über die vertrauten Lichter
schweifen. Fast den ganzen Tag brannten sie zu dieser Jahreszeit, da sich Sonnenauf- und -untergang mittags beinahe überschnitten: die hellen Lichter im Bauernhaus hinter ihm, die Lichter von Hraun auf der anderen Seite des Lavafelds, der Leuchtturm auf einer der Inseln im Fjord, die hüpfenden Positionslampen der Fischerboote, die nach Stykkishólmur zurückkehrten.
    Es war eine klare Nacht. Der Halbmond wurde vom Schnee reflektiert, ließ den Wasserfall schimmern, der vom Berg hinter dem Bauernhof herabstürzte. Die hohen dreieckigen Gestelle zum Trocknen von Stockfisch zeichneten sich vor der glitzernden Dünung des Meeres ab, das sanft ans Ufer rauschte. Aus dem weißen Berserkjahraun reckten sich verdrehte Steinformationen empor. Hinter den Bergen nördlich des Fjords schwebte ein grünes Leuchten. Aurora Borealis, das Nordlicht. Und hoch über ihm besetzten die Sterne zu Tausenden das Firmament. Magnus erinnerte sich an seine Mutter, die damals in Reykjavík gesagt hatte, es gebe zwei Dinge in der Welt, die man nicht zählen könne: die Sterne im Nachthimmel und die Inseln im Breiðafjörður.
    Magnus kuschelte sich in seinen Mantel. Es war kalt, eiskalt, aber die Kälte fühlte sich gut an im Vergleich zur zornigen Hitze im Haus.
    Noch zwei Jahre zuvor hatten Magnus und Óli mit ihren Eltern glücklich in dem kleinen Haus in Þingholt gelebt, dem Haus mit dem blauen Wellblechdach und dem Mehlbeerbaum im Garten. Dann ging alles kaputt. Es gab Streitereien, Wutausbrüche, sein Vater verschwand, seine Mutter schlief den ganzen Tag, vergaß, ihnen Essen zu machen, konnte nicht mehr richtig sprechen. Innerhalb von sechs Monaten zog Magnus’ Vater nach Boston, seine Mutter nach Reykjavík, und er kam mit seinem kleinen Bruder auf den Bauernhof seiner Großeltern, nach Bjarnarhöfn.
    Magnus hatte seine Großmutter nie besonders gemocht. Sie war eine kleine Frau, kühl, distanziert, die ständig einen Ausdruck leichter Missbilligung im Gesicht trug. Magnus’ Großvater war furchteinflößend, aber besaß einen gewissen derben Charme.
Manchmal spielte er ausgelassen mit seinen Enkeln, und als sie nach Bjarnarhöfn gezogen waren, hatte er anfangs großes Vergnügen daran gehabt, ihnen den Hof, die Berge, die Inseln im Fjord zu zeigen. Am schönsten fanden es Magnus und Óli, wenn sie ihm

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