Magnus Jonson 02 - Wut
könnt bei mir auf dem Boden schlafen. Du und die Kinder.«
Freyja lachte und sah sich die Unordnung und den Schmutz in der Wohnung an. »Ich hoffe, so weit wird es nicht kommen.«
Ihr Lachen erstarb. Beide wussten, dass es durchaus möglich war.
»Hör mal, es tut mir leid, dass ich den Hof nicht kaufen konnte«, sagte Sindri. Das meinte er ehrlich. Er hätte es getan, wenn er gekonnt hätte, es wäre das Mindeste gewesen, um die Fehler seines Bruders wiedergutzumachen. »Ich hab einfach nicht das Geld.«
»Natürlich nicht«, sagte Freyja. »So was würde ich auch gar nicht von dir erwarten. Ich frage mich nur manchmal …«
»Was denn?«
»Was Leute wie du den ganzen Tag lang tun.«
»Ich schreibe einen Roman«, erwiderte Sindri. »Er basiert auf Sein eigener Herr von Halldór Laxness, übertragen auf das einundzwanzigste Jahrhundert. Es fällt mir aber ziemlich schwer.«
»So was findest du schwer?«, sagte Freyja mit blitzenden Augen. »Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben lang arbeiten. Es gibt Menschen, die andere zu versorgen haben. Manchmal wünsche ich mir, dass Leute wie du sich mal von ihren fetten Ärschen erheben und in die Hände spucken würden.«
Sindri bekam rote Wangen. Er war, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Wut kämpfte gegen Scham, und die Scham gewann.
Freyja barg ihr Gesicht in den Händen. Sindri schwieg. Sie schaute auf. Lächelte sparsam. »Ach, tut mir leid, Sindri. Ich reiße mich ständig zusammen, damit mir das alles nicht über den Kopf wächst. Ich schaffe es auch, wirklich. Bis jetzt habe ich noch keinen angeschrien, weder die Bank noch die Kinder, nicht mal die
dummen Schafe. Natürlich würde ich am liebsten Matti anschreien, aber das geht ja nicht mehr.«
Sie sah Sindri in die Augen. »Deshalb bekommst du es ab. Tut mir leid.«
»Ich habe es wahrscheinlich verdient«, gab er zurück. Er legte seine Hand auf ihre. »Ich halte die Ohren offen. Könnte sein, dass ich was höre, wo man billig wohnen kann.«
»Danke«, sagte Freyja. »Egal, ich muss jetzt los. Ich spreche mit allen in Reykjavík, die ich kenne. Irgendwas wird sich schon ergeben.«
»Ganz bestimmt«, sagte Sindri. Doch er war sich nicht sicher.
Lange nachdem Freyja gegangen war, saß Sindri an seinem kleinen Esstisch und betrachtete das Gemälde von Bjartur, der seine kranke Tochter übers Moor trug.
Er würde tun, was in seiner Macht stand.
Sharon Piper war frustriert, als sie zur Mordkommission der Polizeiwache Kensington auf der Earl’s Court Road zurückkehrte. Virginie Rogeon war nicht da gewesen. Ihr Handy war abgeschaltet. Sharon hatte an zig Türen geklopft, bis sie schließlich jemanden fand, eine weitere Französin, die meinte, Virginie sei gerade nach Indien in den Urlaub gefahren. Ihr Mann Alain arbeite für eine amerikanische Investmentbank.
Piper fand, es sei am besten, Virginie über das BlackBerry ihres Mannes zu erreichen. Das hieß, sie musste die amerikanischen Investmentbanken in London abtelefonieren, um ihn zu finden.
»Wie läuft es, Sharon? Gibt’s was Neues aus Island?«
Piper schaute auf und sah einen kleinen kahlköpfigen Mann vor ihrem Schreibtisch stehen. Detective Inspector Middleton, ihr Chef. Er wirkte besorgt.
Sie seufzte. »Weiß nicht. Kann sein. Wir haben vielleicht einen Anhaltspunkt, was den Kurierfahrer angeht, der nach Gunnarssons Adresse fragte. Ein isländischer Student vom LSE namens Ísak Samúelsson. Die Beschreibung passt auf ihn, doch ohne eindeutige
Identifizierung wissen wir nichts Genaues. Ich versuche gerade, die französische Nachbarin aufzutreiben, die ihn gesehen hat, aber die ist anscheinend im Urlaub. In Indien.«
»Tun Sie Ihr Bestes. Mit Tanja und ihren russischen Freunden kommen wir nicht weiter. Hat die isländische Polizei irgendwas über diesen Studenten herausgefunden?«
»Weiß ich nicht genau«, antwortete Piper. »Nichts Greifbares.«
»Also, wenn Sie Hilfe brauchen, geben Sie bitte einfach Bescheid«, entgegnete Middleton. »Wir müssen bald einen Durchbruch haben.«
Piper sah zu, wie ihr Chef in sein kleines Büro hinter der Glasscheibe ging und aus dem Fenster schaute. Magnus hatte gut reden, sie solle seinen Verdacht für sich behalten. Sicher hatte er recht, es war nicht mehr als ein Verdacht. Aber die Loyalität gegenüber ihrem Chef musste größer sein als zu diesem Ami oder Isländer – oder was auch immer er war. Abgesehen davon war Julian Lister ein wichtiger Mann. Es war Sharons Pflicht, alle Einfälle oder
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