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Magnus Jonson 02 - Wut

Magnus Jonson 02 - Wut

Titel: Magnus Jonson 02 - Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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helfen durften, zwischen den Zwergweiden am Flüsschen die kostbaren Federn aus den Nestern der Eiderenten zu sammeln.
    Und dann gab es natürlich das Berserkjahraun. Hallgrím führte seine Enkelsöhne durch die phantastisch geformten Lavaformationen, erzählte ihnen die Geschichten der Berserker, die auf Bjarnarhöfn und Hraun gelebt hatten, schilderte die Spiele, mit denen er sich als Kind die Zeit vertrieben hatte. Sie machten Óli Angst und faszinierten Magnus.
    Aber Großvater trank gern. Und wenn er trank, wurde er jähzornig. Und ungerecht.
    Hallgrím mochte Magnus, zumindest am Anfang. Óli hingegen war schwach, und Hallgrím verachtete Schwäche. Óli ließ sich leicht Angst einjagen, und Hallgrím machte ihm gern Angst. Er erzählte ihm beispielsweise die Geschichte von der Kerlingin, die die kleinen Kinder aus Stykkishólmur mitnahm und auch Óli mitnehmen würde, wenn er sich nicht zusammenriss. Er erzählte von den Berserkern, die immer noch nachts über das Lavafeld marschierten. Von einem Mann namens Þórólf Hinkefuß, der vor Jahrhunderten ermordet worden war, aber bis heute durch die Berge geisterte und Schäfer mit ihrer Herde in Angst und Schrecken versetzte. Und er erzählte von fjörulalli , einem Seeungeheuer mit einem Fell voller Muscheln, das sich in Ufernähe im Fjord herumtrieb und kleinen Kindern auflauerte, die zu nah ans Wasser kamen.
    Magnus setzte sich für seinen kleinen Bruder ein. Das gefiel seinem Großvater nicht. Weil es ihm nicht gelang, seinen großen Enkel einzuschüchtern, schlug er ihn. Daher die gelegentlichen Besuche im St.-Francis-Krankenhaus in Stykkishólmur, wo sie Lügen über komplizierte Unfälle auftischten.
    Irgendwann wurde Hallgrím dann nüchtern, die Sonne schien,
und er wollte wieder mit seinen Enkelkindern spielen. Doch Óli hatte zu viel Angst, und Magnus war zu stolz.
    Bei all dem hielt sich ihre Großmutter reserviert im Hintergrund, als wäre ihr egal, was mit ihren Enkeln geschah. Als Magnus älter wurde, merkte er, dass auch sie geschlagen wurde.
    Der Hof war abgelegen, durch das Lavafeld vom Rest der Bevölkerung abgeschnitten. Er wurde zu einer Art Hölle. Magnus dachte an Flucht. Manchmal kam ihre Mutter zu Besuch, dann lief es eine Weile besser, doch zu dem Zeitpunkt hatte Magnus bereits erkannt, dass sie nicht ständig müde war, sondern betrunken. Wenn er ihr versuchte zu erklären, was auf dem Hof vor sich ging, sagte sie nur, Großvater wäre halt »ein bisschen strenger als Papa«.
    Geräusche aus dem Bauernhaus wehten über den Schnee zu Magnus hinüber, das tiefe Brüllen seines Großvaters, das hohe Schreien seines kleinen Bruders. Armer Óli. Auch wenn Magnus nicht viel ausrichten konnte, stand er auf und lief zurück zum Haus in der Hoffnung, dass seine Gegenwart den Großvater vielleicht ablenken würde.
    Als er die Küche erreichte, schrubbte seine Großmutter eine große Pfanne in der Spüle. Von dem Geschrei war nichts mehr zu hören.
    »Wo ist Óli?«
    »Im Keller, glaube ich«, sagte die Oma, ohne sich umzudrehen.
    »Was macht er da?«
    »Er wird bestraft.«
    »Weswegen?«
    »Sei nicht so frech«, gab die Oma zurück. Aber sie sagte es ohne Kraft. Dieser Satz kam oft von ihr. In ihrer Sprache bedeutete er: »Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen, also lass mich in Ruhe.«
    Magnus lief die Steintreppe hinunter in den Keller. Die kalten Zementwände wurden von einer einzelnen Glühbirne erleuchtet. Der Keller wurde als Lager benutzt, es gab mehrere Räume, in einem wurden Futtermittel für die Tiere aufbewahrt, in einem
anderen Kartoffeln, die zum größten Teil verschimmelt waren. Die Tür zu diesem letzten Raum war geschlossen. Dahinter hörte er Óli schluchzen.
    Magnus drückte auf die Türklinke. Sie war abgesperrt. »Óli! Óli, ist alles in Ordnung?«
    »Nein«, kam es unter Schluchzen zurück. »Es ist dunkel und kalt hier, die Kartoffeln sind schleimig, und ich habe Angst.«
    »Kannst du nicht das Licht anmachen?«
    »Er hat die Birne rausgedreht.«
    Wut kochte in Magnus hoch, er riss an der Tür in der Hoffnung, das Schloss irgendwie zu lockern. Natürlich klappte es nicht, deshalb trat er dagegen.
    »Hör auf, Magnús, lass das! Er kann dich hören!«
    »Mir egal«, rief Magnus. Er machte einen Schritt zurück, nahm Anlauf und warf sich mit dem ganzen Gewicht seines neunjährigen Körpers gegen die Tür, prallte ab und fiel hin. Dann erhob er sich wieder und rieb sich die Schulter.
    »Magnús!«
    Das Brummen

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