Magnus Jonson 02 - Wut
Anhaltspunkte weiterzugeben, wie abstrus sie auch erscheinen mochten. Damit stachen sie womöglich in ein Wespennest: MI5, SO 15. Oder man würde Sharon einfach ignorieren. Aber sie hatte keine Wahl.
Sharon Piper öffnete die Tür zum Büro ihres Chefs.
»Guv’nor, da gäbe es was.«
25
Magnus holte sich ein Bier und schaltete den Fernseher an. Die Ermittlung drehte sich in seinem Kopf. Er war frustriert. Er wusste einfach, dass es Verbindungen gab, er hatte nur keine Ahnung, wo er sie suchen sollte. Árni hatte auch noch die kleinste Videosequenz der Januardemos prüfen müssen, die zu finden war. Magnus brauchte ein besseres Bild von dem jüngeren Mann, der Harpa, Björn und Sindri auf dem Rückweg von der Kundgebung zu folgen schien.
Mit Vigdís hatte er die Polizeiakten sogenannter Anarchisten durchgeschaut, die an den Unruhen beteiligt gewesen waren. Einige hatten sie auf den Bändern erkannt, vermummt mit Sturmhauben warfen sie Pflastersteine auf die Polizei. Die meisten waren Krawallbrüder, die nur nach einer Ausrede suchten, um »Spaß« zu haben. Andere hingen offenbar einer Ideologie an, doch war die nicht besonders differenziert. Ein oder zwei waren Freunde von Sindri.
Das waren mögliche Spuren, die man verfolgen konnte, doch Magnus bezweifelte, dass sie ihn weiterbringen würden. Es sei denn, einer dieser Chaoten wäre an jenem Abend mit Sindri, Harpa und Björn zusammen gewesen. Das wäre interessant.
Er hatte gehofft, dass Sharon Ísak als den Kurier in Onslow Gardens identifizieren lassen konnte. Sie hatte angerufen und erklärt, dass die Nachbarin in Urlaub gefahren war. Sharon versuchte nun, sich mit ihr in Verbindung zu setzen.
Sie konnten nichts anderes tun als warten. Sobald der Mann der Zeugin sich bei seiner Firma meldete, wäre es ein Leichtes für Piper, das Foto von Ísak elektronisch zu verschicken.
Im Fernsehen gab es eine Diskussionsrunde zum Thema Julian Lister. Inzwischen waren die Ärzte der Meinung, er hätte eine Chance, es zu schaffen. Die Isländer überschlugen sich mit guten Wünschen für den ehemaligen britischen Schatzkanzler. Die Nation litt unter einem massiven Schuldgefühl.
Es gab kein Entrinnen. Im Grunde waren die Isländer ein friedliebendes, gewaltloses Volk, und die Vorstellung, dass sie nach außen hin anders wirken könnten, bestürzte sie. Magnus verstand durchaus, warum die Behörden den geringsten Hinweis darauf fürchteten, die Ermittlungen könnten einen terroristischen Hintergrund haben. Denn wenn Magnus recht hatte und es wirklich eine kleine Gruppe von Isländern gab, die eine Liste mit mächtigen Menschen führte und sie nacheinander tötete, dann handelte es sich um genau das: Terrorismus.
Sein Telefon klingelte. »Hier Magnús.«
»Hej, Magnus, du bist ja ein richtiger Isländer geworden.«
»Ollie! Mensch, wie geht’s dir? Hab gestern deine Nachricht bekommen. Tut mir leid, dass ich mich noch nicht gemeldet habe.«
»Kein Problem. Wie sieht’s aus im Land unserer Vorfahren? Brodelt es immer noch vor sich hin?«
»Denke schon. Ich habe meinen ersten Vulkanausbruch allerdings noch vor mir. Aber die heißen Quellen sind nett.«
»Wie läuft das Studium?«
»Ganz gut«, erwiderte Magnus. »Obwohl ich momentan an einem richtigen Fall arbeite.«
»Hat einer in den Joghurt gewichst?«
»Haha!«
»Schon gut. Weißt du, dass gestern Dads Geburtstag war?«
»Hm?« Magnus setzte sich auf. »Wirklich? Ach ja, stimmt.« Er verspürte ein leichtes Schuldgefühl. Er hatte es vergessen.
»Ja. Er wäre sechzig geworden. Ich kann ihn mir nicht mit sechzig vorstellen, du?«
»Doch, kann ich«, sagte Magnus lächelnd. Ihr Vater war mit Mitte vierzig gestorben. Sein helles Haar war damals langsam
grau geworden. Die Lachfältchen um die Augen wurden bereits tiefer. »Das kann ich.«
»Ich habe in letzter Zeit viel an ihn gedacht.«
»Ich auch«, sagte Magnus. Er holte tief Luft. Ollie hatte ein Recht, alles zu erfahren, genau dasselbe Recht wie Magnus selbst.
Er sprach zwanzig Minuten lang, erzählte seinem Bruder von Sibba und Unnur. Von der Reaktion ihres Großvaters auf die Trennung der Eltern. Dann von den Todesfällen der Familien auf Bjarnarhöfn und Hraun im Laufe der Jahre: Benedikts Vater, ihr Urgroßvater Gunnar, Benedikt selbst.
»Du meine Güte!«, sagte Ollie. »Du glaubst also, Großvater könnte etwas mit dem Mord an Dad zu tun haben?«
»Ich weiß es noch nicht. Unnur meint, auf gar keinen Fall. Ich muss noch etwas tiefer
Weitere Kostenlose Bücher