Magnus Jonson 02 - Wut
war ihm vertraut. Magnus drehte sich zu seinem Großvater um – ein gesunder Sechzigjähriger mit kräftigem Kinn, stahlgrauem Haar und eisblauen Augen. Ein harter, zorniger Mann. Der schwache Geruch von Alkohol, vermischt mit dem Duft von Schnupftabak, der Hallgrím stets umgab, stieg Magnus in die Nase.
»Magnús, geh nach oben!«
»Warum hast du das getan, Opa? Weil Óli ins Bett gemacht hat? Er kann nichts dafür! Das macht er nur, weil er die ganze Zeit Angst hat. Lass ihn raus!«
»Ich habe gesagt, geh nach oben.«
»Und ich habe gesagt, lass ihn raus!« Magnus’ Stimme war schrill.
Die Nasenlöcher seines Großvaters bebten, das zuverlässige Zeichen einer bevorstehenden Explosion. Magnus wappnete sich, aber hielt dem Blick seines Großvaters stand.
»Lass ihn raus!«
Hallgrím sah sich nach der nächstbesten Waffe um. Sein Blick fiel auf eine stumpfe alte Axt. Er nahm sie in die Hand und trat drohend auf Magnus zu.
Am liebsten wäre Magnus fortgelaufen, doch er blieb mit gespreizten Beinen vor der Tür zum Kartoffelkeller stehen, als würde er seinen Bruder beschützen. Er starrte auf das Blatt der Axt.
Hallgrím stieß Magnus mit dem stumpfen Ende des Axtgriffs in die Rippen. Es war kein besonders heftiger Stoß, aber Magnus war noch ein kleiner Junge. Ihm blieb die Luft weg, er krümmte sich zusammen. Hallgrím holte aus und traf Magnus mit der flachen Seite am Oberschenkel.
Magnus fiel hin. Als er aufsah, holte sein Großvater mit der Axt aus. Seine Augen funkelten vor Wut. Magnus begann zu weinen. Er konnte nicht anders. Er lag auf dem kalten Steinboden und hörte Óli durch die Tür schluchzen.
»Ins Bett! Sofort!«
Magnus humpelte ins Bett. Was hätte er auch tun sollen?
Stundenlang lag er da, die Augen feucht vor Tränen und Wut, und starrte auf das leere Bett seines Bruders. Sein Oberschenkel schmerzte zwar, aber er war nicht gebrochen, diesmal war also keine demütigende Fahrt ins Krankenhaus nötig.
Wie konnte sein Großvater einen Siebenjährigen die ganze Nacht im kalten, dunklen Keller einsperren? Wenn Óli vorher gelegentlich ins Bett gemacht hatte, würde es ihm jetzt mit Sicherheit jede Nacht passieren.
Magnus wartete, bis er hörte, dass sein Großvater sich schlafen legte. Er wartete noch etwas länger. Schließlich – es kam ihm vor, als wären Stunden vergangen – schlüpfte er aus dem Bett, zog eine Trainingsjacke über und schlich nach unten.
Er wusste, wo der Schlüssel sein musste, er hing immer an der
Tür des Besenschranks. Magnus erblickte ihn im Mondlicht, das vom Schnee in die Küche geworfen wurde. Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihn greifen zu können. Mit dem Schlüssel huschte er die Treppe hinunter in den dunklen Keller, tastete sich vor bis zur Tür des Kartoffelkellers und schloss sie auf.
Es roch nach verschimmelten Kartoffeln und Kinderurin.
»Óli? Óli! Ich bin’s, Magnús.«
»Magnús?« Die Stimme war schwach, kleinlaut.
»Komm mit raus!«
»Nein.«
»Los, komm, Óli!«
»Nein. Zwing mich bitte nicht. Wenn er mich erwischt, wird er wieder böse.«
Magnus zögerte. Er konnte seinen Bruder nicht sehen und bewegte sich mit ausgestreckten Händen auf dessen Stimme zu, bückte sich, bis er einen Arm ertastete. Kleine Hände umklammerten seine. Er nahm seinen Bruder in die Arme und hielt ihn fest.
»Warum hat er das getan, Óli?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Doch, kannst du. Ich erzähl’s keinem weiter.«
Óli begann zu schluchzen. »Ich kann es nicht sagen, Magnús. Ich werd’s nicht sagen. Bitte zwing mich nicht.«
»Okay, Óli. In Ordnung. Ich zwinge dich nicht, es mir zu erzählen. Und ich zwinge dich nicht, diesen Raum zu verlassen. Ich bleibe bei dir.«
Und Magnus setzte sich zu seinem Bruder, der bald darauf einschlief. Er blieb dort, bis er glaubte, die Dämmerung stände kurz bevor, dann schlich er zurück in sein eigenes Bett.
Dienstag, 22. September 2009
Magnus verstummte. Er lag auf dem Rücken in Ingileifs Bett.
»Mein Gott, das ist ja fürchterlich«, sagte sie. »Wie hast du das nur ausgehalten?«
»Ich war ein zäher kleiner Junge, denke ich«, sagte Magnus. »Ich habe immer an meinen Vater gedacht. Ich wusste, dass er von mir verlangen würde, für Ollie einzutreten, deshalb tat ich das. Und ich wusste, dass er irgendwann aus Amerika kommen und uns holen würde. Eines Tages geschah das tatsächlich. Aber erst nachdem meine Mutter mit dem Auto gegen einen Felsen gefahren war.«
»Es grenzt an
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