Magnus Jonson 02 - Wut
gehabt. Du brauchst eine Pause.« Er drückte Harpas Hand. Lächelte. Eine Weile war sie beruhigt.
Dann entzog sie ihm ihre Hand. »Warte mal! Wir haben doch vorher nicht hierüber geredet, oder? Wir wollten zur Polizei. Um von Sindri und dem Studenten zu erzählen. Wollten wir da nicht hin?«
Björn schluckte. »Nein.«
»Björn, was ist hier los?« Harpa riss die Augen auf. »Hast du mich entführt oder was?«
»Nein«, sagte Björn.
»Na gut. Dann kann ich ja mein Handy nehmen und bei der Polizei anrufen.« Sie griff zu ihrer Handtasche neben der Tür und wühlte darin herum.
»Hier gib es keinen Empfang«, sagte Björn.
»Wo ist mein Handy, Björn?«
»Das brauchst du hier nicht. Hier gibt es keinen Empfang.«
Harpa schaute auf. »Du hast es weggenommen, oder? Ich glaub es nicht, du hast mich wirklich entführt! Björn, was ist hier los, verdammt noch mal?«
»Ich fand, wir sollten mehr Zeit zusammen …«
»Quatsch!« Panik stand in Harpas Gesicht. »Du hast Óskar und Lister doch erschossen, stimmt’s? Du willst nicht, dass ich zur Polizei gehe!«
»Ich habe niemanden getötet.«
»Was läuft hier dann bitte ab?«, rief Harpa.
»Setz dich!«, sagte Björn. »Dann erkläre ich es dir.«
»Das kann ich dir nur raten«, sagte Harpa. Aber sie setzte sich. Und trank ihren Kaffee.
»Zuerst mal habe ich niemanden umgebracht«, sagte Björn. »Das schwöre ich.«
»Aber du weißt, wer es war?«
Er nickte. »Ich weiß, wer es war.«
»Und du warst in Frankreich?«
Wieder nickte er. »Ja. Ich bin nach Amsterdam geflogen und von da in die Normandie gefahren, um für jemand anders Vorbereitungen zu treffen.«
»Für wen?«
Björn schüttelte den Kopf.
»Sindri? Ísak?«
»Ja, die beiden waren beteiligt.«
»Also hatte Frikki recht?«
Björn nickte. »Aber wir haben es aus einem guten Grund getan.«
»Ach, ich bitte dich, wie kann man jemanden aus gutem Grund töten?«
»Du hast auch jemanden umgebracht, Harpa.«
»Ja, und ich bereue es jede Minute!«
»Ich nicht«, entgegnete Björn ruhig.
Harpa musterte ihn eindringlich. Der Blick seiner blauen Augen war stark und stet.
»Ich will damit sagen: Je länger ich darüber nachdachte, desto
mehr war ich der Meinung, dass Gabríel Örn den Tod verdient hatte. Er war ein schlechter Mensch. Er hat dich wie Dreck behandelt.«
»Das reicht aber nicht als Grund, um ihn umzubringen«, bemerkte Harpa.
»Das vielleicht nicht, aber unser Land zu ruinieren schon. Leute wie Gabríel Örn haben Island und sein Volk zerstört. Starke, ehrliche, hart arbeitende Isländer wie mich und Tausende andere. Du weißt, wie schwer ich geschuftet habe, um mir mein Geschäft aufzubauen. Warum muss ich das alles verlieren? Warum müssen Tausende andere alles verlieren? Bauern verlieren ihre Höfe, Ladenbesitzer ihre Geschäfte, Fischer ihre Schiffe. Junge Familien verlieren ihr Haus. Kannst du dich daran erinnern, was Sindri am Abend nach der Demo von seinem Bruder erzählte?«
Harpa schüttelte den Kopf.
»Tja, sein Bruder musste den Hof schließlich der Bank geben. Er brachte sich um. Jetzt stehen die Frau und die Kinder seines Bruders ohne Heim und ohne Arbeit da. Diese Menschen haben ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet. Es ist nicht ihre Schuld! Und es ist noch nicht mal richtig losgegangen. Die Arbeitslosigkeit wird steigen. In den nächsten Jahrzehnten werden wir ein Volk von Almosenempfängern sein. Und Schuld daran haben Menschen wie Gabríel Örn.«
»Aber es ist doch nicht allein seine Schuld, oder?«, sagte Harpa.
»Nein, das ist es ja!«, gab Björn zurück und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Wie heißt es noch gleich: Es sind dreißig Personen, die Island auf dem Gewissen haben?«
»Leute wie Óskar?«
»Ja.«
»Und Julian Lister?«
»Ja.«
Harpa runzelte die Stirn. »Du bist verrückt. Ihr seid alle verrückt.«
»Ach ja? Die Isländer protestieren zwar, aber sie wehren sich
nicht richtig. Wenn Amerika dem Terror den Kampf ansagt, marschiert es in ein paar Länder ein, und Tausende von Menschen werden umgebracht. Wir sollten gegen alle Verantwortlichen Krieg führen. Wir sprechen hier nur von vier Personen.«
»Vier?« Harpa zählte sie an den Fingern ab. »Gabríel Örn, Óskar, Julian Lister. Wer ist der Vierte?«
Björn schüttelte den Kopf.
»Also hatte Frikki doch recht. Einer kommt noch?«
Björn antwortete nicht.
Eine Träne rann aus Harpas Auge. »Ich verstehe dich nicht, Björn. Ich meine, Sindri, den verstehe ich. Der hat
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