Magnus Jonson 02 - Wut
immer schon gesagt, dass er ein Anhänger von Gewalt ist. Er bildet sich ein, seine Überzeugungen jetzt in die Tat umsetzen zu können. Aber du? Du gehörst zu den bodenständigsten Menschen, die ich kenne.«
»Das dachte ich auch immer«, gab Björn zurück. »Aber im Laufe des letzten Jahres habe ich viel gelernt.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, dass Menschen wie mein Vater und Sindri recht haben. Sie waren stets der Meinung, dass der Kapitalismus schlecht für den Normalbürger ist, für den, der arbeitet und spart. Er ist ein Werkzeug der Reichen, mit dem sie den Rest manipulieren. Das ist mir jetzt vollkommen klar. Aber ich habe nie auf meinen Vater gehört. Ich dachte immer, er wäre ein Dinosaurier aus der Zeit des Kalten Krieges. Ich war für die Unabhängigkeitspartei, ich war überzeugt, Kapitalismus würde bedeuten, dass Menschen wie ich mit harter Arbeit ein Geschäft aufbauen könnten. Mann, was lag ich daneben! Aber zumindest erkenne ich das jetzt. Zumindest tue ich etwas dagegen.«
»Zum Beispiel Menschen umbringen?«
»Harpa!« Björn griff über den Tisch nach ihrer Hand. Sie entzog sie ihm. »Harpa, du hast doch fast genauso schlimm darunter gelitten. Du hast deine Arbeit verloren. Dein Vater hat seine Ersparnisse verloren. Gabríel Örn hat dich schlecht behandelt, Óskar ebenfalls. Siehst du denn nicht, dass wir die Guten sind?«
»Du bist ein Mörder, Björn. Gut, du hast vielleicht nicht selbst abgedrückt, aber trotzdem bist du ein Mörder.« Sie riss die Augen auf. »Moment mal! Hast du Óskar wegen mir ausgesucht? Wusstest du, dass er Markús’ Vater ist?«
»Das hat mir die Polizei erst am Sonntag erzählt. Aber ja, als wir überlegten, für welchen Bankchef wir uns entscheiden sollten, hielt ich die Ódinsbanki für eine gute Wahl.«
»Du hast ihn also wegen mir umgebracht?«
»Wegen dir, wegen mir und wegen allen normalen Menschen in Island.«
Harpa schürzte die Lippen. Wut stieg in ihr auf, blitzte in den Tränen, die sich in ihren Augen sammelten. »Und was hast du jetzt mit mir vor? Mich gefangen halten?«
»Ich will nur, dass du die nächsten vierundzwanzig Stunden hierbleibst.«
»Bis der nächste auf der Liste erschossen ist?«
Björn zuckte mit den Schultern.
»Und wie geht es danach weiter?«
Er seufzte. »Früher oder später werden sie uns erwischen. Die anderen glauben ja, dass es eine Revolution gibt, aber ich weiß nicht. So was läuft in Island einfach nicht. Deswegen werde ich wohl ins Gefängnis wandern.«
Einen Augenblick lang tat er Harpa fast leid. Doch nur kurz. »Das hast du auch verdient«, sagte sie dann.
»Kann sein. Vielleicht sollte ich für das zahlen, was ich getan habe; ich kannte ja die Konsequenzen. Ich habe keine andere Wahl, ich muss sie akzeptieren.« Björn sprach mit ruhiger Stimme.
»Vielleicht ist es wirklich so.«
»Noch einen Tag, dann ist es egal. Die anderen glauben, sie hätten eine Chance. Ich möchte gern, dass du dich noch ein paar Tage zurückhältst, bis die Polizei uns aufspürt. Dann kannst du alles sagen, was du willst. Ich werde dafür sorgen, dass du nichts mit all dem zu tun hast.«
»Du bist verrückt, wenn du glaubst, dass ich dabei mitmache.«
»Bitte, Harpa!«, sagte Björn. »Um meinetwillen.«
Böse funkelte sie ihn an. »Mir wird gleich schlecht«, sagte sie. »Jetzt gib mir mein Handy, damit ich telefonieren kann.«
»Nein«, sagte er.
»Dann gehe ich jetzt«, sagte Harpa und stand auf.
»Du musst in der Hütte bleiben«, verkündete Björn.
»Nein, muss ich nicht«, gab Harpa zurück. »Oder willst du mich aufhalten?«
Sie ging auf die Tür zu. Björn sprang auf, packte Harpa von hinten, drehte sie um und warf sie zu Boden. Sie schrie und trat um sich. Er streckte sich nach dem Seil, das auf einem Stuhl lag.
Er wickelte es ihr um den Körper, fesselte ihre Arme und knotete es fest zu. Laut protestierend wand sich Harpa in den Schlingen. Björn stand auf und betrachtete sie vom Herd aus.
»Ich hasse dich!«, rief sie. »Ich hasse dich!«
Ihre Schreie wurden von den Wänden der Hütte und dem Nebel im Tal gedämpft, so dass sie, als sie auf die felsigen Hänge des Tales trafen, zu schwach waren, um ein Echo hervorzurufen.
33
Als Magnus erwachte, dachte er über Ingileif nach. Besser gesagt: Er wusste nicht, was er von ihr halten sollte.
Ihre Behauptung, er sei neidisch auf sie, er würde vermuten, sie treffe sich mit anderen Männern, war lachhaft. In Magnus’ früherer Beziehung zu
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