Magnus Jonson 02 - Wut
verschont worden.
»Hallo?« Polternd wurde ihre Haustür geöffnet. »Harpa?«
»Ich bin in der Küche, Papa!«
Ihr Vater kam herein. Man hörte Fußgetrappel, dann stürzte Markús in die Küche und sprang seinem Großvater in die Arme. »Afi!«
Lachend warf Einar Bjarnason den Jungen wie eine Feder in die Luft. »Hej, Markús! Wie geht’s dir? Freust du dich, deinen alten Opa zu sehen?«
»Ich gucke gerade Lazy Town , Afi, willst du mit mir gucken?«
»Gleich, sofort, Markús, gleich.«
Das wettergegerbte Gesicht brach zu einem Lächeln auf. Einar war Fischer, und als er noch mit seinem Schiff hinausgefahren war, hatte er in dem Ruf gestanden, einer der härtesten Kapitäne der Flotte zu sein. Aber nicht, was seinen Enkel betraf. Oder seine Tochter.
Er breitete die Arme aus. Harpa löste sich vom Computer und ging auf ihren Vater zu. Sie waren gleich groß, doch er war breit und kräftig, und Harpa empfand es als tröstlich, seine großen, fleischigen Hände im Rücken zu spüren.
Einar war ihr gegenüber immer zärtlich gewesen, doch so oft wie in den letzten Monaten hatte er sie früher nicht in den Arm genommen.
Er wusste, dass Harpa es brauchte.
Zu ihrer Überraschung musste sie weinen, als sie sicher in seinen Armen lag.
Einar löste sich von ihr und sah seine Tochter an. »Was ist los? Was ist passiert?«
»Der Chef der Ódinsbanki wurde umgebracht. Óskar Gunnarsson.«
»Wahrscheinlich hat er es verdient.«
»Papa!« Harpa wusste, dass ihr Vater Banker aus tiefstem Herzen verabscheute, besonders jene, die seine geliebte Tochter auf die Straße gesetzt hatten, doch diese Bemerkung war selbst für ihn ein bisschen zu grob.
»Tut mir leid, Schätzchen, kanntest du ihn?«
»Nein, nicht richtig«, antwortete Harpa. »Nur flüchtig.«
Einar sah ihr ins Gesicht, seine blauen Augen schauten ihr bis in die Seele. Er weiß, dass ich lüge, dachte Harpa voller Panik. So wie er es wusste, als sie mit der Polizei über Gabríel Örn gesprochen hatte. Sie merkte, dass sie errötete.
Harpa trat einen Schritt zurück, ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen und begann zu schluchzen.
Einar schenkte zwei Tassen Kaffee ein und setzte sich seiner Tochter gegenüber. »Möchtest du darüber sprechen?«
Harpa schüttelte den Kopf. Sie bemühte sich erfolgreich, die Tränen unter Kontrolle zu bekommen. Ihr Vater wartete. »Wie war der Fang?«, erkundigte sie sich.
Sie sprach vom Fliegenfischen. Vor fünfzehn Jahren hatte Einar das Hochseefischen aufgeben müssen, nachdem eine Welle auf der Helgi zerschellt war, ihn gegen eine Winsch geschleudert und ihm das Knie gebrochen hatte. Daraufhin hatte er das Schiff einige Jahre lang von Land aus eingesetzt und später zusammen mit seiner Fangquote für Hunderte Millionen von krónur verkauft. Ab da war er ein wohlhabender Pensionär. Bis er auf seine Tochter hörte.
Zuerst investierte er das Geld in hochverzinste Einlagen bei der Ódinsbanki, was ihm stattliche Einkünfte bescherte. Aber einige seiner alten Freunde verdienten sich eine goldene Nase mit Währungsspekulationen und Investitionen auf dem boomenden isländischen Aktienmarkt. Einar bat seine kluge Tochter um Rat, die ja für eine Bank arbeitete.
Sie hatte ihm empfohlen, sich von Währungsspekulationen und den gewagteren neuen Papieren fernzuhalten. Bankaktien hingegen seien sicher. Harpa konnte ihm die Ódinsbanki ans Herz legen. Sie sei die beste aller isländischen Banken.
Und so steckte Einar all seine Ersparnisse in Aktien der Ódinsbanki. Aktien, die völlig wertlos wurden, als die Regierung die Bank im vergangenen Herbst verstaatlichte.
Harpa fragte sich, wie er es sich immer noch leisten konnte, Fliegenfischen zu gehen.
»Ich habe nicht viel gefangen. Und die meiste Zeit hat es geregnet. Aber am Wochenende will ich wieder los. Vielleicht habe ich dann mehr Glück.« Er legte einen Arm um seine Tochter. »Gibt es wirklich nichts, was du mir erzählen willst?«
Kurz überlegte Harpa, auf sein Angebot einzugehen. Ihm alles zu sagen. Schließlich war seine Liebe zu ihr bedingungslos. Er würde zu ihr stehen, egal was sie getan hatte. Oder nicht?
Doch was sie getan hatte, war furchtbar. Unverzeihlich. Sich selbst hatte sie es jedenfalls nicht vergeben und würde es auch niemals tun. Ihr Vater war so ein guter Mann. Wie sollte er ihr verzeihen können?
Deshalb schüttelte sie den Kopf. »Nein, Papa. Es ist nichts.«
4
Oktober 1934
Benedikt hatte eine wirklich tolle Idee für ein
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