Magnus Jonson 02 - Wut
Freitagabend bin ich auf einer Party eingeladen. Bei Jakob und Selma. Willst du mitkommen?«
»Ist das der kleine Kerl mit der großen Nase?«
»Eher ein großer Kerl mit einer kleinen Nase. Du hast ihn schon mal gesehen. Sie gehören zu meinen besten Kunden.«
Ingileif hatte eine elegante Galerie, die sehr erfolgreich lief. Ihre Kunden stammten aus den wohlhabendsten Kreisen von Reykjavík, schöne Menschen, die schöne Kunst besaßen und sich schön kleideten. Alle waren absolut freundlich zu Magnus, doch er passte nicht so recht zu ihnen. Zum einen hatte er nicht die richtige Garderobe, in seinem Kleiderschrank fand sich kein Designer-T-Shirt oder -Anzug. Seine beiden Lieblingsshirts waren von LL Bean, aber das zählte wohl nicht, ebenso wenig wie sein Anzug von Macy’s. Vor allem aber kannten sich all diese schönen Menschen seit ihrer Kindheit.
»Weiß nicht«, sagte Magnus. »Ich denke, dass ich am Óskar-Gunnarsson-Fall arbeiten muss.«
»Na gut«, sagte Ingileif. Es schien sie nicht zu stören. Es schien sie nie zu stören, ohne ihn ausgehen zu müssen.
Magnus wusste nie genau, woran er bei ihr war. Andererseits empfand er es als angenehm, wenn sie einfach bei ihm auftauchte und ungebeten mitten in seinem Leben stand.
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Ich glaube, die Muscheln können noch ein bisschen warten.«
Lächelnd blickte Magnus Ingileif an. Sie lag in seiner Armbeuge, ihr Kopf ruhte auf seiner Brust, sein Kinn lag auf ihrem blonden Haar. Sie hatte die Augen geschlossen, schlief aber nicht. Er sah die vertraute kleine Kerbe über ihrer Augenbraue. Auch auf ihren Lippen lag ein schwaches Lächeln.
»Ich passe hier gut rein«, sagte sie. »Habe ich genau die richtige Größe oder du?«
»Wahrscheinlich wir beide«, gab Magnus zurück. »Wir passen zusammen.«
»Stimmt.«
Das war richtig. Ingileif gehörte zu den guten Dingen in Island, sie war einer der Gründe für Magnus, hier zu bleiben. Er hatte mehrere Jahre eine Freundin in den Staaten gehabt, eine Anwältin namens Colby. Sie war klug und attraktiv und wusste, was sie wollte. Und zwar wollte sie, dass Magnus den Polizeidienst quittierte, Jura studierte, einen anständigen Job bekam und sie heiratete. Das deckte sich aber nicht mit Magnus’ Vorstellungen, und deshalb hatten sie sich getrennt.
Und weil es Colby nicht gefiel, auf den Straßen von Boston von Kriminellen mit Pumpguns beschossen zu werden.
Ingileif schien keine Absicht zu haben, Magnus zu heiraten oder zu ändern. Sie hatten sich in Magnus’ erster Woche in Island kennengelernt; Ingileif war zuerst Zeugin und dann Verdächtige in einem Mordfall gewesen, an dem er gearbeitet hatte. Die beiden hatten viel zusammen durchgemacht. Wie der Vater von Magnus war auch der von Ingileif getötet worden, als sie noch ein Kind war. Magnus hatte herausgefunden, was damals geschehen war, für Ingileif eine sehr schwer zu verarbeitende Entdeckung.
Er hatte sie unterstützt, mit ihr gesprochen, ihren Schmerz verstanden und ihr geholfen, damit ins Reine zu kommen oder wenigstens zu akzeptieren, dass sie damit niemals völlig ins Reine kommen würde. Diese Erfahrung verband die beiden.
Ingileif regte sich in seinen Armen. »Und, hast du Óskars Mörder schon gefunden?«
»Noch nicht«, erwiderte Magnus.
»Das ist ja armselig. Du hattest doch den ganzen Tag Zeit.«
»Dauert vielleicht etwas länger als einen Tag.«
»Selbst für CSI Magnus?«
»Meinst du vielleicht CSI Boston?«
»Kann sein. Ich gucke diese Sendungen nicht. Aber ich wette, dass ich den Fall lösen kann.« Ingileif befreite sich aus Magnus’ Armen und setzte sich im Bett auf. »Welche Anhaltspunkte hast du?«
»So funktioniert das nicht«, sagte Magnus. »Wir haben keine Verbindung nach Island gefunden. Der Mörder lebt wahrscheinlich in London. Dort wurde Óskar schließlich getötet.«
»Hm. Was ist mit Óskars Sexleben? Hast du das schon durchleuchtet?«
»Wieso? Kennst du dich mit seinem Sexleben aus?«
»Natürlich nicht persönlich, du Spinner. Aber ich habe ihn mal getroffen. Kamilla, seine Exfrau, gehört zu meinen Kunden. Nette Frau. Sieht gut aus. Ein bisschen naiv.«
»Vigdís hat mit ihr gesprochen«, sagte Magnus. »Sie hatte das Gefühl, dass zwischen den beiden keine große Feindseligkeit herrscht.«
»Wahrscheinlich nicht mehr«, sagte Ingileif. »Eine Zeitlang aber schon. Besonders, als María ein Thema war.«
»María?«
»Ja. Eine alte Freundin von mir. Sie war ein paar Jahre lang
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