Magnus Jonson 02 - Wut
Óskars Freundin. Und der Grund für die Scheidung. Jetzt ist sie mit jemand anders verheiratet, aber sie kann dir einiges über ihn erzählen.«
»Hm.« Sexuelle Eifersucht war ein sehr beliebtes Mordmotiv. Ingileif hatte recht, wahrscheinlich sollten sie wirklich mehr über Óskars Geliebten herausfinden, zumindest über diejenigen in Island.
»Ich ruf sie an«, sagte Ingileif. »Wir können uns treffen.«
»Vigdís kann sie morgen befragen.«
»Was soll das heißen? Das ist meine Zeugin«, sagte Ingileif und rollte sich aus dem Bett, um ihr Handy hervorzukramen. »Ist das nicht der Fachausdruck?«
»Nicht ganz.«
Ingileif hob die Hand, damit er schwieg. »María? Hallo, hier ist Ingileif. Hej, ich wollte mit dir über Óskar sprechen. Das muss ja furchtbar für dich sein.«
Fünf Minuten später hatte Ingileif verabredet, dass Magnus am nächsten Morgen María zu Hause aufsuchen konnte. Ingileif war
stolz auf sich. »Das haben wir in null Komma nichts geklärt«, sagte sie. »Und mit wem hast du heute geredet?«
»Mit meiner Cousine Sibba«, antwortete Magnus.
»Ist sie eine Zeugin?«
»Nein. Sie ist die Anwältin von Óskars Schwester.«
»Moment mal. Von der hast du schon mal erzählt. Eine Cousine mütterlicherseits, nicht?«
»Ja. Stimmt.«
»Die dir erzählt hat, dass dein Vater mit der besten Freundin deiner Mutter gevögelt hat?«
»Ja«, brachte Magnus mit rauer Stimme heraus. »Macht es dir was aus, wenn wir das Thema wechseln? Ich hätte nicht damit anfangen sollen. Ich will nicht darüber nachdenken.«
»Gut«, sagte Ingileif und drückte seine Hand.
Aber Magnus dachte doch darüber nach. Bis zu seinem neunten Lebensjahr hatte er eine idyllische Kindheit gehabt. Seine Mutter hatte in der Schule und sein Vater an der Universität unterrichtet, Magnus konnte mit seinem Bruder Óli im Garten ihres kleinen Hauses mit dem strahlend blauen Wellblechdach spielen, nur einen Steinwurf entfernt von Magnus’ jetziger Unterkunft in Þingholt.
Dann hatte sich etwas geändert, ein einschneidendes Ereignis. Sein Vater hatte verkündet, er würde an eine Universität in Amerika gehen. Seine Mutter war mit den Söhnen zurückgeblieben und hatte angefangen zu trinken. Die beiden Jungen wurden zu ihren Großeltern nach Bjarnarhöfn auf der Halbinsel Snæfells geschickt. Jenen Abschnitt seines Lebens hatte Magnus aus seiner Erinnerung gelöscht, aber er wusste, dass die Narben noch da waren, tief in seinem Innern.
Bei Óli waren sie viel deutlicher zu spüren. Von jenem Aufenthalt auf dem Bauernhof hatte er sich nie so richtig erholt.
Eines Tages kam ihre Mutter dann bei einem Autounfall ums Leben. Sie war betrunken. Später flog der Vater der beiden, Ragnar, von Amerika herüber, um seine Söhne mit nach Boston zu nehmen. Damals war Magnus zwölf und Óli zehn gewesen.
Als Magnus älter wurde und mehr über Alkoholismus erfuhr, hatte er seine eigene Einstellung zum Leben seiner Eltern entwickelt. Seine Mutter war nicht mehr die schöne Frau aus seiner Kindheit, an die er sich noch vage erinnerte, sondern eine Alkoholikerin, die Schuldige, und sein Vater war der Held.
Bis er vor vier Monaten zufällig Sigurbjörg auf der Straße getroffen hatte. Sie hatte Magnus’ Geschichtsauffassung auf den Kopf gestellt, indem sie ihm eröffnete, sein Vater hätte eine Affäre mit der besten Freundin seiner Mutter gehabt. Aus diesem Grund hätte sie angefangen zu trinken. Daraufhin sei sein Vater nach Amerika geflohen. Das hätte letztlich zum Tod seiner Mutter geführt.
Dieses Wissen war es, was Magnus wieder hatte verdrängen wollen.
»Du denkst immer noch an Sibba, nicht?«, fragte Ingileif. »Das merke ich doch.«
Magnus seufzte. »Ja.«
»Ich finde, du solltest dich dem Thema stellen. Besuch sie. Finde heraus, was wirklich zwischen deinem Vater und der Freundin deiner Mutter vorgefallen ist.«
»Ich habe gesagt, ich möchte nicht darüber sprechen.«
Ingileif ignorierte ihn. »Ich weiß noch, als du dich entschieden hast, in Island zu bleiben. Einer der Gründe dafür war, dass du glaubtest, der Tod deines Vaters stehe in gewisser Verbindung zu diesem Land.«
Magnus schüttelte den Kopf. »Ingileif …«
»Nein, hör zu! Dein ganzes Leben lang zerbrichst du dir den Kopf darüber, wie und von wem dein Vater getötet wurde. Das ist der Grund für das, was du tust, das macht dich aus. Etwa nicht?«
Widerwillig nickte Magnus. Es war der Grund, warum er bei der Polizei anfangen hatte, weshalb er zur
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