Magnus Jonson 02 - Wut
Hverfisgata. Unter der Woche war sie so warm, schmuddelig und überfüllt mit trinkfreudigen Männern und Frauen, dass sie Magnus an die Läden in Boston erinnerte, die er nach einer Schicht mit seinem Kollegen zum Abschalten besucht hatte. So etwas war in Reykjavík nicht üblich, außer am Wochenende, dann drehten aber alle durch. Trinken unter der Woche wurde mit hochgezogenen Augenbrauen bedacht. Was den Charme des Grand Rokk nur noch steigerte.
Zu Beginn von Magnus’ Aufenthalt in Island waren aus den zwei Bieren sehr viel mehr geworden, dazu zahlreiche Schnäpse. Das hatte für großen Ärger gesorgt. Inzwischen hatte er jedoch alles unter Kontrolle.
Aber seine gute Laune lag nicht nur am Alkohol. Es war ein erhebendes Gefühl, endlich wieder solide Polizeiarbeit zu leisten. Und der Fall weckte allmählich sein Interesse. Noch war nicht zu ahnen, ob der Tod von Óskar in Zusammenhang mit Island stand, aber wenn, dann würde Magnus darauf wetten, dass Harpa die
Verbindungsperson war. Nachdem ihr Exfreund sich umgebracht hatte, durfte man schon erwarten, dass sie durcheinander war. Doch Harpas Aufregung war vielschichtiger: Sie verbarg etwas.
Und Gabríel Örns Selbstmord war nicht logisch. Bisher hatten sie keine Anzeichen für suizidale Neigungen oder für starke Depressionen gefunden. Und wenn er sich tatsächlich hatte umbringen wollen, war es doch eine sonderbare Methode, drei Meilen zum Meer zu marschieren und hineinzuspringen, zudem in einer kalten Nacht. Warum war er nicht gefahren? Oder hatte ein Taxi genommen? Oder war einfach zu Hause geblieben und hatte Tabletten geschluckt?
Möglicherweise würden die weiteren Ermittlungen ergeben, dass Gabríel Örn eine depressive Ader hatte. Das würde allem einen Sinn verleihen.
Aber Magnus würde sich nicht wundern, wenn dem nicht so wäre.
Als er seine Hausschlüssel hervorholte, ging die Tür auf, und seine Vermieterin erschien in vollem Ornat.
Katrín war groß und hatte kurzes, schwarz gefärbtes Haar. Sie war blass geschminkt und trug viel Metall im Gesicht und an den Ohren. Dazu eine schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt und einen Mantel. Katrín hatte gewisse Ähnlichkeit mit ihrem Bruder, doch während Árni weiche Gesichtszüge hatte, wirkte sie eher hart. Im Arm hatte sie ein zierliches Mädchen mit kurzem blondem Haar.
»Hi, Magnus«, sagte Katrín auf Englisch. Sie hatte einige Zeit in England verbracht und unterhielt sich gern in seiner Muttersprache mit ihm. »Wir wollen gerade los. Das ist übrigens Tinna.«
»Hallo, Tinna«, sagte Magnus. »Wie geht’s?«
Tinna nickte lächelnd und lehnte sich an ihre größere Begleiterin.
Magnus kannte die Konventionen von Freundschaften unter isländischen Frauen noch nicht gut genug, um beurteilen zu können, was genau er vor sich hatte.
Katrín bemerkte seine Verwirrung. »Mit Männern bin ich durch, Magnus. Sie stinken und lügen. Findest du nicht?«
»Tja …«, meinte Magnus.
»Tinna ist viel süßer«, sagte Katrín und drückte die kleine Blondine an sich.
Tinna lächelte ihre Freundin an, und sie gaben sich einen kurzen Kuss auf die Lippen.
»Aber erzähl’s Árni nicht, Magnus, ja? Er würde sich nur drüber aufregen.«
»Tu ich nicht«, versprach Magnus. Einer der Gründe, warum Árni ihn bei seiner Schwester einquartiert hatte, war, dass Magnus ein Auge auf Katrín haben sollte. Das war jedoch nicht Magnus’ Absicht. Er mochte Katrín, sie war eine gute Mitbewohnerin, auch wenn sie sich nicht oft sahen. Oder vielleicht gerade deshalb.
Als er in den Flur kam, roch es nach Essen. Er schaute in der Küche nach, weil er dachte, Katrín hätte etwas für ihn in den Ofen gestellt. Doch da stand Ingileif, die mit einem Holzlöffel in einer Pfanne Muscheln umrührte.
»Hi«, sagte sie, kam auf ihn zu und gab ihm einen langen, sinnlichen Kuss.
»Hi«, sagte Magnus und lächelte. »Das ist ja eine Überraschung!«
»Du bist im Grand Rokk gewesen, nicht? Rieche ich an deinem Atem.«
»Stört es dich?«, fragte er.
»Nee, natürlich nicht. Ich finde, der Laden passt perfekt zu dir. Versuch nur nicht, mich dahin zu schleppen. Magst du Muscheln?«
»Ja.«
»Glück gehabt.
»Hm. Wie bist du reingekommen, Ingileif?«
»Katrín hat mich reingelassen. Ach, hast du übrigens Tinna kennengelernt? Süß, nicht?«
»Hm, kann sein«, erwiderte Magnus. Er wusste nicht genau, was er davon halten sollte, dass Ingileif sich Zugang zu seinem Haus verschaffte, ohne ihn vorher zu fragen.
»Am
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