Magnus Jonson 02 - Wut
Mordkommission gegangen war, weshalb er unermüdlich den Mörder jedes Opfers aufspürte.
»Gut. Du willst also unbedingt deine Zeit damit vergeuden, im Mordfall Óskar den Zusammenhang mit Island zu finden, obwohl du zugibst, dass der wahrscheinlich gar nicht existiert, hingegen
willst du nichts über die isländische Verbindung im Fall deines Vaters wissen. Das finde ich unlogisch.«
»Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe«, erwiderte Magnus.
»Warum?«
»Weil …« Er suchte eine gute Entschuldigung, entschied sich dann aber für die Wahrheit. »Weil es persönlich ist.«
»Natürlich ist es persönlich!«, rief Ingileif. »Und genau deshalb musst du dich damit beschäftigen. So wie ich herausfinden musste, wie mein Vater gestorben ist, auch wenn die Antwort sehr weh getan hat. Und erzähl mir nicht, dass das nicht persönlich war!«
Magnus strich ihr übers Haar. »Nein. Nein, das behaupte ich doch gar nicht.« Ingileifs Schmerz war echt gewesen, war es immer noch. Sie hatte recht. Es war wichtig für sie gewesen, die Wahrheit zu erfahren. Warum also nicht auch für ihn?
»Du hast Angst, Magnus. Gib es zu! Du hast Angst vor dem, was du herausfinden könntest.«
Magnus schloss die Augen. Er wollte kein Feigling sein. Das passte nicht zu seinem Selbstbild. Seit seiner Kindheit hatte er mit großem Eifer die isländischen Sagas gelesen, die mittelalterlichen Erzählungen von Rache und Wagemut. In diesen Geschichten gab es Helden und Feiglinge, manche suchten Gerechtigkeit, andere versteckten sich vor ihr, und Magnus sah sich selbst als einen von diesen Helden. Er grinste in sich hinein. In den Sagas drängten die Frauen das Mannsvolk, den Hintern hochzubekommen und die Familienehre zu rächen. Genau wie Ingileif.
»Du hast recht«, sagte er. »Ich habe Angst. Aber … na ja.«
»Was?«
»Kannst du dich erinnern, dass ich dir erzählt habe, ich hätte vier Jahre bei meinem Großvater gelebt, als unser Vater fortging?«
»Ja.«
Magnus schluckte. »Das sind vier Jahre, an die ich mich nicht erinnern möchte.«
»Was ist da passiert?«, fragte Ingileif und legte die Hand auf seine Brust. »Was ist passiert, Magnus?«
Er stieß die Luft aus. »Das möchte ich dir wirklich nicht erzählen. Diese Erinnerung muss weggeschlossen bleiben.«
Harpa starrte aus ihrem Fenster auf die blinzelnden Lichter von Reykjavík jenseits der Bucht und wartete auf die Ankunft von Björn. Er hatte ein schnelles Motorrad, und sie wusste, dass er so rasch wie möglich herkommen würde. Es waren hundertachtzig Kilometer, aber die Straßen waren in einem guten Zustand und mit Ausnahme des letzten Abschnitts durch die Vororte von Reykjavík auch frei.
Seit dem Gespräch mit den beiden Kriminalbeamten war Harpa angespannt. Der große mit dem roten Haar und dem leichten amerikanischen Akzent war ihr unter die Haut gegangen. Er war schlauer als der schmale, mit dem sie im Januar gesprochen hatte. Seine Augen hatten etwas Besonderes – blau, ruhig, verständnisvoll –, ihnen schien nichts zu entgehen, sie durchschauten all ihre Proteste und Posen. Der Große wusste, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Es gab keine Verbindung zwischen dem Tod von Gabríel Örn und dem von Óskar; der erste Fall war von den Behörden abgeschlossen, aber dieser Beamte spürte, dass etwas nicht stimmte.
Er würde wiederkommen.
Harpa war unbeherrscht zu Markús gewesen, hatte ihn angefahren, weil er seine Spielzeugautos nicht fortgeräumt hatte. Als sie ihm später eines der Gedichte im Vísnabókin vorlas, die Lieblingslektüre ihrer eigenen Kindheit, musste Markús sie darauf hinweisen, dass sie eine Strophe zweimal gelesen hatte.
Nachdem Harpa ihn zu Bett gebracht hatte, war sie unruhig im Haus umhergelaufen. Eigentlich wollte sie unbedingt an den Strand von Grótta gehen, an die Spitze von Seltjarnarnes, aber sie wollte Markús nicht allein im Haus zurücklassen. Sie überlegte, ihre Mutter zu rufen, hatte aber keine Lust, Erklärungen abgeben zu müssen und mit kleinen Lügen die große Lüge dahinter zu tarnen.
Deshalb hatte sie sich schließlich nur eine Tasse Kaffee eingeschenkt,
sich an den Küchentisch gesetzt und aus dem Fenster geschaut, wo sich die Nacht über die Faxaflói-Bucht senkte. Harpa zwang sich, reglos zu sein. Sie befand sich in einer Art Trancezustand. Innerlich schrie sie. Nach außen hin war sie benommen, wie erstarrt.
Gabríels Tod würde sie niemals loslassen. Auf unerklärliche Weise hatte sich sein Tod
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