Magnus Jonson 02 - Wut
»Aber es sieht sehr stark danach aus. Seine Familie, seine Eltern, seine Schwester haben ein Anrecht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Wir haben die Pflicht, es ihnen zu sagen.«
»Halt du mir keine Vorträge über meine Pflicht«, knurrte Baldur.
»Du lebst hier nicht, dies ist nicht dein Land. Ich entscheide, was unsere Pflicht ist. Und ich befehle dir, Gabríel Örn fallenzulassen. Vergiss ihn! Und erwähne ihn vor allem nicht gegenüber der britischen Polizei. Verstanden?«
Baldurs Worte waren wie Ohrfeigen für Magnus. Island war sein Land, verdammt noch mal. Das war eine Überzeugung, ein Gedanke, an den er sich all die Jahre in Amerika geklammert hatte. Trotzdem. Trotzdem war er im Januar nicht in Island gewesen. Er hatte nicht an der friedlichen Revolution teilgenommen, weder als Demonstrant noch als Polizist oder auch nur als Beobachter. Tatsächlich hatte er in Amerika kaum wahrgenommen, was hier geschehen war – zu jener Zeit war er tief verstrickt in eine Ermittlung über polizeiliche Korruption in Boston. Was das isländische Volk erreicht hatte – eine Regierung mit vollkommen friedlichen Mitteln zu stürzen –, war wirklich eindrucksvoll – auf typisch isländische Weise.
Welches Recht hatte er, das alles auf den Kopf zu stellen?
Er nickte. »Verstanden.«
11
María Halldórsdóttir lebte in einer ruhigen Straße in Þingholt, auf der anderen Seite des Hügels, an dem auch Magnus wohnte. Sie konnte auf den Flughafen sehen. Die Häuser hier waren größer, für isländische Verhältnisse imposant. In der kleinen Straße standen viele SUV von Mercedes und BMW, Land Rover Discovery und vor Marías Haus ein weißer Porsche Cayenne. Magnus’ Range Rover passte gut hierher.
Der Wind war stärker geworden, Magnus und Vigdís mussten sich auf dem kurzen Wegstück vom Auto zur Haustür regelrecht dagegenstemmen. Magnus drückte auf die Klingel, und nach wenigen Sekunden öffnete María. Sie war groß und schlank, hatte lange dunkle Haare und lange Beine in einer engen Jeans und rehbraunen Stiefeln.
»Kommt herein!«, sagte sie. »Ingileif ist auch da.«
»Ingileif?«, fragte Magnus überrascht.
»Hi, Magnús!« Seine Freundin kam aus dem Wohnzimmer und begrüßte ihn mit einem Kuss. »Oh, hallo, Vigdís. Es stört dich doch nicht, wenn ich dabei bin, Magnús, oder? María ist meine Freundin.«
»Also, es wäre schon angemessener, wenn du nicht dabei wärst, solange ich mit María spreche.«
»Angemessener? Ich kann mich noch gut erinnern, wie es ausging, als du mich damals befragt hast. Ich möchte nicht, dass du bei María dieselbe Technik anwendest.« Sie tauschte einen Blick mit ihrer Freundin, und beide prusteten los.
Wie immer hatte sie Magnus auf dem falschen Fuß erwischt. Obwohl alles sehr professionell gewesen war, als er Ingileif zum
ersten Mal befragt hatte, Vigdís ihn sogar begleitet hatte, war es schon richtig, dass er zu ihr als Zeugin später freundlicher gewesen war, als er hätte sein sollen.
Er warf Vigdís einen kurzen Blick zu. Sie bemühte sich, ihr Lachen zu unterdrücken.
»Na gut«, sagte Magnus. »Aber unterbrich uns nicht!« Kaum hatte er es ausgesprochen, wusste er, wie sinnlos diese Mahnung war.
María führte sie ins Wohnzimmer. Es war sehr groß und auf typisch isländische Weise minimalistisch elegant eingerichtet: weiße Wände, helle Holzböden und Möbel aus Glas und Holz. Abstrakte Plastiken verbogen sich für die Besucher. Die Kunst an den Wänden war bunt – Originale als Blickfang. Stolz präsentierten sich exotische Blumen allein oder zu zweit in Vasen.
Eine gute Kundin für Ingileif, zweifellos.
Schnell überflog Magnus die Familienfotos. Einige zeigten María und einen hageren Mann mit ergrauenden Schläfen, der einen gut geschnittenen Anzug trug. Der Gatte. Ein erfolgreicher Mann, gemessen am Wert des Hauses.
Magnus, Ingileif und Vigdís nahmen Platz, während María ihnen Kaffee einschenkte. Auf dem Couchtisch lag ein Katalog, der bei Kinderzimmermöbeln aufgeschlagen war. Offensichtlich hatten María und Ingileif hineingeschaut. Verstohlen prüfte Magnus, ob er bei María den Ansatz eines Bauches erkennen konnte, doch er sah nichts.
»Keine Sorge«, sagte Ingileif und wies auf den Katalog. »Das ist nicht für uns, Magnús.«
»Hab ich auch nicht gedacht«, erwiderte er.
»Hast du wohl«, sagte Ingileif mit einem belustigten Grinsen.
»Der ist von mir«, sagte María. »Ich bin im dritten Monat schwanger.«
»Glückwunsch«, entgegnete
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