Magnus Jonson 02 - Wut
Magnus. Er räusperte sich bei dem Versuch, die Lage wieder in den Griff zu bekommen. »Gut, María, erzählst du mal, wie du Óskar kennengelernt hast?«
Sie holte tief Luft. »Óskar. Er war einige Jahre älter als ich. Ich weiß nicht mehr genau, wo wir uns das erste Mal sahen, aber ich kann mich erinnern, dass ich mich bei einem Essen von Freunden erstmals für ihn interessierte – Birta, die kennst du doch, Ingileif, oder?«
Ingileif nickte.
»Das war 2003, vor sechs Jahren. Später sind wir als Gruppe ausgegangen, tanzen. Ich merkte, dass er mich mochte.«
»War er damals noch verheiratet?«
»O ja«, sagte María. »Aber das hätte niemals gehalten.«
Magnus hob fragend die Augenbrauen.
»Óskar und Kamilla waren schon seit der Oberschule zusammen«, erklärte Ingileif. »Solche Ehen halten nie. Das ist nur eine Frage der Zeit.«
Magnus warf ihr einen tadelnden Blick zu.
»Entschuldigung«, sagte sie.
»Ingileif hat recht«, bestätigte María die Aussage ihrer Freundin. »Er war auf der Suche, das merkte man. Am Ende schliefen wir zusammen. Das ging zwei Jahre so.«
»Wusste seine Frau Bescheid?«
»Ich glaube nicht. Óskar meinte jedenfalls, sie wüsste nichts.«
»Eure Beziehung war also was Ernstes?«
»Ja, doch.« María zögerte zum ersten Mal. »Ich mochte ihn sehr. Er war ein attraktiver Typ. Und er war lustig, lebhaft. Er strahlte einfach Erfolg aus, weißt du? Alles, was er anfasste, wurde zu Gold.« Sie lächelte.
»Ich weiß noch, dass er mit mir ein Wochenende nach Südfrankreich runterflog. Wir wohnten in einem herrlichen Hotel hoch oben über der Corniche und hatten einen unglaublichen Blick aufs Mittelmeer. Wir gingen in eines der Casinos in Monte Carlo. Ich hatte kleine Summen auf Rot gesetzt und fast nur verloren. Óskar teilte meinen Einsatz in drei Teile auf und schob ein Drittel auf die Nummer vierzehn, meinen Geburtstag. Er verlor. Er setzte das zweite Drittel auf dieselbe Zahl und verlor erneut. Fragend
sah er mich an, ob er auch das letzte Drittel verwenden dürfe. Ich nickte. Ich vertraute ihm. Und er gewann! Über tausend Euro. Ich hätte das nie geschafft, aber bei ihm schien das irgendwie unvermeidlich. Er war einfach ein Gewinnertyp, verstehst du?«
»Ein guter Fang.«
»Dachte ich auch«, sagte María. »Wahrscheinlich machte ich den klassischen Fehler der Geliebten. Ich hoffte, er würde seine Frau verlassen und mich heiraten.« Sie seufzte. »Dann hörte ich, dass er auf einer Party in London mit so einer Schlampe aus der Niederlassung seiner Bank abgezogen war. Ich sprach ihn darauf an, er schwor, dass es nicht noch einmal vorkommen würde, aber tat es natürlich trotzdem.«
»Mit derselben Frau?«
»Nein, mit einer anderen. Ich glaube, die Erste war wirklich nur ein One-Night-Stand. Das mit der anderen war auch in London. Bevor er das Haus in Kensington kaufte, aber er flog damals oft rüber. Ich merkte, dass er sich da drüben austobte. Da er sich in Reykjavík vor zwei Frauen verstecken musste, seiner Frau und seiner Geliebten, leuchtete das durchaus ein.«
»Wann war das?«
»Vor gut vier Jahren.«
»Also hast du mit ihm Schluss gemacht?«
»Ja. Und sechs Monate später lernte ich Hinrik kennen.« Sie schaute hinüber zu dem Foto mit dem hageren Mann.
»Der viel besser zu ihr passt«, sagte Ingileif.
»Seitdem hast du Óskar nicht mehr gesehen?«
»Nein. Ich meine, ich habe ihn ein-, zweimal bei gesellschaftlichen Anlässen getroffen, aber nicht mehr allein.« Ihre Unterlippe begann zu beben. Das überraschte Magnus; bisher war sie fast gleichgültig gewesen, was den Tod ihres ehemaligen Geliebten betraf. »Er war ein guter Mann. Ich weiß nicht, ob er bei der Bank für irgendwelche Unregelmäßigkeiten verantwortlich war, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Er war eine ehrliche Haut, weißt du, man konnte ihm
vertrauen.« Sie sah Magnus in die Augen, damit er ihr nicht widersprach. Magnus fand, dass ein Mann, der seine Frau und seine Geliebte betrog und trotzdem den Eindruck vermittelte, glaubwürdig zu sein, ein gewisses Charisma gehabt haben musste.
Mit Mordopfern war es sonderbar. Man konnte sie nicht mehr persönlich kennenlernen, dennoch erfuhr man im Verlauf des Falls immer mehr über sie. Óskar wurde immer interessanter, je mehr Magnus über ihn herausfand. War er wirklich der böse Banker, den die Medien aus ihm gemacht hatten?
Wer auch immer er war, den Tod hatte er nicht
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