Magnus Jonson 02 - Wut
verdient.
Vigdís hatte sich Notizen gemacht. »Kennst du den Namen dieser Frau?«
»Nein. Hat er mir nie erzählt.«
»War sie Russin?«, fragte Vigdís.
»Nein, nein, sie war Engländerin. Eine Anwältin, glaube ich.«
»Aha. Und die Erste? Der One-Night-Stand?«
»Die Schlampe? Ah, die war durchaus isländisch. Sie war bei der Ódinsbanki in London angestellt. Jetzt ist sie wieder in Reykjavík.«
»Und weißt du, wie sie hieß?«, fragte Magnus.
»Ja. Harpa. Harpa Einarsdóttir.«
Frikki stand im Ankunftsbereich des Flughafens Keflavík und beobachtete die Anzeige. Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den anderen. Wo blieb sie bloß? Das Flugzeug aus Warschau war schon vor zwanzig Minuten gelandet. Es konnte doch nicht so lange dauern, bis sie ihr Gepäck geholt und durch den Zoll gegangen war, oder? Frikki war noch nie geflogen, er war überhaupt zum ersten Mal am Flughafen, hatte also keine Ahnung, was auf der anderen Seite der Schwingtüren vor sich ging. Hatte der Zoll sie vielleicht aufgehalten oder die Einwanderungsbehörde ihr den Zutritt ins Land verwehrt?
Diesen Gedanken konnte er nicht ertragen. Er knabberte an seinem Daumennagel. Wo blieb sie bloß?
Er war vor Freude überwältigt gewesen, als Magda ihm über
Facebook mitgeteilt hatte, dass sie einen billigen Flug ergattert hätte und ihn besuchen würde. Sie war Zimmermädchen im Hotel 101 gewesen, wo Frikki als Beikoch gearbeitet hatte. Als sie ihre Stelle verlor, so wie er kurz zuvor, bedeutete das für Magda, dass sie zurück nach Polen musste. Das war Anfang Januar gewesen, kurz nach Neujahr. Es war ihnen gelungen, ihre Beziehung über die wunderbaren Erfindungen Skype und Facebook aufrechtzuerhalten. Magda war ein Jahr älter als Frikki und viel vernünftiger. Bei ihr war er ein anderer Mensch, ruhiger, glücklicher. Besser.
In wenigen Minuten würde er sie wiedersehen. Falls sie nicht von Einwanderungsbeamten aufgehalten würde.
Gleichzeitig war Frikki nervös. Seit er seine Stelle verloren hatte, war er nachlässig geworden, und das würde Magda merken. Bis zu seiner Kochausbildung hatte er oft Ärger gehabt. Er war ein Naturtalent. Mehr noch: Das Kochen beruhigte ihn, forderte seinen Einsatz, lenkte ihn vom Saufen und Randalieren ab. Er war so stolz gewesen, die Stelle im 101 zu bekommen, dem schicksten Hotel der Stadt. Und er hatte sich dort gut geschlagen. Er war ein hübscher Junge, die Mädchen flogen auf ihn, aber er wusste, dass Magda durch sein neues Selbstbewusstsein auf ihn aufmerksam geworden war.
Es war die unvermeidliche Folge der kreppa , dass auch eines der beliebtesten Häuser Einbußen hinzunehmen hatte. Frikki wusste, es war nicht seine und Magdas Schuld gewesen, dass sie entlassen worden waren.
Das Leben hatte sich seitdem schwierig gestaltet. Er wohnte bei seiner Mutter, einer Putzfrau, in Breiðholt, einem eher armen Vorort von Reykjavík. Ihm war unglaublich langweilig geworden. Er hatte wieder mit Drogen angefangen. Wieder geklaut. Das erste Mal, als sein Laptop unerwartet den Geist aufgab. Damit war sein einziges Mittel dahin, sich mit Magda auszutauschen. Wie sehr er sich auch bemühte, er hatte ihn nicht reparieren können. Deshalb hatte er einen Laptop mitgehen lassen, den irgendein Idiot auf seinem Autositz vergessen hatte.
Plötzlich drängten sich ungebetene Erinnerungen an jene furchtbare Nacht im Januar in seine Gedanken. Ging das wieder los?
Davon durfte er Magda auf keinen Fall erzählen. Sie würde es niemals verstehen.
»Frikki!«
Er sah sich um: Da war sie! Wie konnte er sie bloß übersehen haben?
»O Frikki!« Sie lief auf ihn zu, schlang ihm die Arme um den Hals und küsste ihn.
Alle Gedanken an jene Nacht im Januar schmolzen dahin.
Magnus eilte an dem sich umarmenden jungen Pärchen im Ankunftsbereich des Flughafens vorbei und hielt Ausschau nach Detective Sergeant Piper. Er hatte keine Ahnung, wie sie aussah, und auch kein Schild mit ihrem Namen mitgebracht. Eigentlich sollte er jedoch eine Polizeibeamtin erkennen können, auch wenn sie aus England war.
Sein Telefon klingelte. Es war seine Cousine Sibba.
»Ich habe Onkel Ingvar angerufen. Jetzt weiß ich, wie die andere Frau hieß.«
Magnus holte tief Luft. »Erzähl!«, sagte er, auch wenn er sich immer noch nicht sicher war, ob er es wirklich wissen wollte.
»Unnur. Unnur Ágústsdóttir. Wie ich schon sagte, war sie eine Freundin von Margrét aus Schulzeiten. Sie gingen zusammen zur Lehramtsausbildung nach Reykjavík und
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