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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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gebissen. Es hat richtig wehgetan. Und ja, ich habe versucht, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich Angst habe. Ich habe versucht, ihn dazu zu bringen, mir den Keller zu zeigen. Kunun hätte mich sowieso gebissen. Er wollte es schon oben tun, im Erdgeschoss. Ich dachte nur, wenn ich ihn vorher dazu bringen kann, mir etwas Entscheidendes zu verraten, wenn er den Code eingibt und du siehst das vielleicht durch die Scheibe. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich erinnern würde. Aber ich dachte, wenn du es vielleicht siehst …«
    »Glaubst du allen Ernstes, ich denke noch einen Augenblick lang an diesen verfluchten Code, wenn du mit Kunun in einen Fahrstuhl eingesperrt bist!«
    Ihre Stimme wurde immer leiser. »Ich wollte den Zeitpunkt bestimmen. Es war mir nicht klar, dass es dir lieber ist, wenn ich weine und schreie und ihm das Gesicht zerkratze.«
    Hass hatte er empfunden, auf seinen Bruder, und eine Angst, die ihn schier zerreißen wollte. Um Hanna. Er hatte nicht gewusst, dass Hass und Angst zusammen den Namen Eifersucht trugen. Er wollte sie um Verzeihung bitten, er wollte ihr sagen, dass es ihm leidtat, dass sie keine Schuld traf, dass er stolz darauf war, wie tapfer und besonnen sie reagiert hatte, als Kunun so unverhofft nach Hause gekommen war. Aber er konnte das Bild nicht auslöschen, konnte es nicht aus seinen Augen reißen, wie sie beide im Fahrstuhl standen, seine Hanna und der Prinz der Schatten, dicht an dicht und einander so zugewandt, dass sie wie Liebende wirkten. Hanna, seine wunderbare, liebliche Hanna. Und Kunun, groß, dunkel und makellos schön, der Prinz, dem die Herzen zuflogen … Er selbst, ausgeschlossen, stand draußen, ein hilfloser Beobachter, unfähig, irgendetwas zu tun.
    »Sag es mir«, forderte er, statt sich zu entschuldigen, statt
sie in den Arm zu nehmen, »dass es keinen Augenblick gab, nicht den winzigsten Moment, in dem du dir gewünscht hast, er würde dich beißen, ganz egal, was es dich kostet.«
    Wenn sie es ausgesprochen hätte, wenn sie ihm versichert hätte, dass sie nie auch nur den Gedanken gehabt hatte, ihn zu verraten - dann wäre alles gut gewesen. Dass sie auf eine Weise mit Kunun gespielt hatte, die er weder verstehen noch billigen konnte, würde er irgendwie annehmen können. Aber Hanna schwieg. Sie wandte den Blick von ihm ab, auf die Stadt, auf den Nachthimmel, aus dem heraus der kalte, stürmisch aufbrausende Wind ihr die Tränen in die Augen trieb.
    Also doch.
    Hatte er es nicht gewusst? Er war nichts als Kununs kleiner Bruder, eine Hand im Nacken, die ihm das Gesicht in ein Kissen drückte.
    Es gab nichts mehr zu sagen.
    Mattim drehte sich um und ging.
     
    Es war so unfair. So verdammt unfair.
    Wie konnte Mattim ihr vorwerfen, dass sie sich von Kunun hatte beißen lassen? Sie hatte beim besten Willen nicht die Möglichkeit gehabt, ihm zu entkommen!
    Trotzdem war da dieser Moment, dieser Augenblick, der ihr schwer wie ein Stein auf der Seele lag, als sie sich gewünscht hatte, Kunun würde in ihr etwas Kostbares erkennen, nicht nur ein Opfer, nicht nur ein junges Ding, das ihm lästig war, weil es das Geheimnis um sein Haus bedrohte, sondern eine Frau, die ihm gefiel, die begehrenswert war und um die er Mattim beneidete. Einen Augenblick, in dem sie sich gewünscht hatte, er würde sagen: Ich will nicht Réka und auch keine andere, sondern nur dich …
    War das denn so verwerflich? Dass sie sich wünschte, von ihm ernst genommen zu werden? Kunun am Fluss, das Foto aus Rékas Schublade … Die Bilder wirbelten durch
ihren Geist wie ein Schwarm gieriger Fledermäuse. Es war unmöglich, sie abzuschütteln, vor ihnen zu fliehen. Immer wieder sah sie vor sich, wie Kunun sich zu ihr beugte. Und dann die Dunkelheit. Undurchdringliche Finsternis. Es spielte keine Rolle, dass sie sich sagte: Das ist die Höhle. Das ist nur eine Höhle, und sie gehört Mattim genauso wie Kunun. Magyria gehört Mattim, nicht Kunun, es gehört dem Licht …
    Nichts spielte eine Rolle. Wie eine Betrunkene wankte Hanna nach Hause. Der Wind zerzauste ihr Haar. Als sie am frühen Abend aufgebrochen war, war ihr warm gewesen bei der Vorfreude auf das Wiedersehen mit Mattim. Jetzt war ihr nur kalt, so kalt, dass sie immer wieder rannte. Stehen blieb, keuchend, und dann wieder losrannte. Sie wollte sich in keine Straßenbahn, in kein Auto setzen. Nur laufen und laufen und laufen … Automatisch fiel sie in den gleichmäßigen Trab, den sie sich beim Joggen angewöhnt hatte. Der Regen perlte

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