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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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durch ihr Haar, Schneematsch häufte sich in den Rinnsteinen, es spritzte bei jedem ihrer Schritte. Langsam wich die Verzweiflung einer dumpfen Schwere. Die Gedanken hörten auf zu kreisen. Irgendwann spürte sie nur noch ihre Beine, die schmerzenden Lungen, hörte ihren eigenen keuchenden Atem, aber sie weigerte sich anzuhalten. Den Hügel herunter. Über die Straße. Sie lief auf dem Fußweg parallel zum Fluss weiter, zwischen den beiden Uferstraßen, wich Joggern und Spaziergängern mit ihren Hunden aus. Auf einmal sah sie zwei Gestalten vor sich und wusste sofort, um wen es sich handelte.
    Die beiden standen auf der Betonkante, direkt am Fluss, einer Bootsanlegestelle für die Ausflugs- und Restaurantboote, die hier zahlreich vor Anker lagen. Die tiefer gelegene Straße trennte sie von dem Fußweg. Hanna konnte nur stehen bleiben und auf die andere Seite starren.
    Réka und Kunun. Am Ufer der Donau. Statt nach Hause war sie, ohne es zu merken, direkt hierhergelaufen. Zu Kunun.
Natürlich, er trug ihr Blut in sich, das, was er ihr geraubt hatte, und sie war seiner Anziehungskraft gefolgt wie ein kleiner Eisenspan, der sich blindlings und mit untrüglicher Sicherheit, auf einen Magneten ausrichtete.
    Hanna blieb stehen und wartete, bis sie wieder ruhig atmen konnte, sie hielt sich die Seite. So schnell sie nur konnte, war sie zu ihm gelaufen, zu ihm, dessen Gesicht vor ihren Augen tanzte, bloß um hier auf ihn zu stoßen - mit Réka.
    Sollte das Mädchen um die Uhrzeit nicht zu Hause sein? Was tat sie überhaupt hier? Was tat sie mit Kunun?
    Er gehört mir!, wollte Hanna rufen. Mir, nur mir!
    Doch sie tat es nicht. Sie starrte auf das Paar, ohne sich zu rühren.
    Kununs Hand lag auf Rékas Haar, während er leise auf sie einredete. Réka machte eine Bewegung, als wolle sie von ihm fort, aber sein Arm fing sie wieder ein.
    »Ich muss jetzt wirklich nach Hause«, sagte das Mädchen laut, durch das Rauschen des Verkehrs gedämpft. Oder wünschte Hanna sich nur, dass sie das sagte? »Lass mich, ich muss los …«
    Küsste er sie, um ihren Widerstand zu brechen? Biss er zu? Hanna konnte es von ihrem Standpunkt aus nicht erkennen. Sie wollte vorspringen, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Réka von ihm wegzuzerren, um ihn für sich alleine zu haben, und etwas anderem, einem Ruf, der aus ihrem wahren Selbst aufstieg: Rette sie! Zieh sie von ihm weg! Sein Einfluss auf sie lässt nach, wenn er jemand anders beißt. Lass es nicht zu, dass er sie zurückbekommt. Es ist Réka, deine Réka! Spinnst du, hier noch herumzustehen und dabei zuzusehen?
    Beide Wünsche vereint hätten sie dazu bringen müssen, zu den beiden zu laufen und das Mädchen vor Kunun zu retten, aus welchen Gründen auch immer, aber ihre Füße bohrten sich in den Asphalt, als wollten sie Hanna dazu
zwingen, Wurzeln zu schlagen, damit sie sich wie ein Baum fühlen konnte, stark und ruhig und gefasst.
    Lass ihn. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sie zu retten. Er hat Réka gewählt, nicht dich.
    Durch ihre Wut und ihren Schmerz darüber stieg ein anderes Bild auf: Mattim. Mattim. Du liebst nur ihn.
    Niemand durfte eine solche Anziehungskraft auf sie ausüben wie Kunun, niemand durfte mit einem Blick aus seinen schwarzen Augen alles auslöschen, was ihr etwas bedeutete. Niemand durfte sie mit seinem Biss zu einer willenlosen Sklavin machen. Auch nicht Kunun. Schon gar nicht Kunun.
    Das Paar stand ganz ruhig da, eng umschlungen. Kunun trank von Rékas Blut. Hanna wusste es. Wusste es, ballte die Fäuste und spürte die Tränen aus ihren Augen perlen und über die Wangen rinnen. In der Wolle ihres Schals versickerten sie wie schmelzender Schnee. Sie griff nicht ein, sie tat gar nichts. Stattdessen ließ sie zu, dass Kunun das Band, das er zwischen ihnen geknüpft hatte, wieder durchtrennte. Dass er erneut Réka, die sich noch viel weniger wehren konnte, an sich fesselte. Langsam ging Hanna weiter in Richtung Batthyány tér, den Kopf gesenkt.

VIERUNDZWANZIG
    BUDAPEST, UNGARN
    Mattim wollte nicht zurück. Er wollte nie wieder zurück, nie mehr Kununs arrogantes Lächeln auf sich spüren. Na, kleiner Bruder? Hast du Schmerzen? Du solltest keine Schmerzen mehr verspüren, du bist ein Schatten. Dein Körper lügt. Du müsstest diesen Schmerz nicht fühlen, wie sich deine Brust zusammenzieht, wie es sich einem ätzenden Gift gleich durch deine Eingeweide brennt, sodass du dich krümmen willst, sodass du brechen willst, in der Hoffnung, damit alles

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