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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Band, geflochten aus einer weißen Schnur, in der er nach kurzem Nachdenken seinen verschwundenen Schnürsenkel erkannte, und einer Strähne von Hannas langem, schimmerndem Haar. Daran war, wie ein Anhänger, ein herzförmiges Stück dickes goldenes Papier befestigt, auf dem nichts als eine Zahl stand.
    1502.
    Der Code.
     
    Erst als Mattim aus dem Fahrstuhl stieg, wurde ihm bewusst, dass es jemandem auffallen konnte, wenn er ganz nach unten fuhr. Deshalb drückte er schnell noch auf einen der oberen Knöpfe, um den Fahrstuhl wieder nach oben zu schicken, und wandte sich dann dem Durchgang zwischen den beiden Kellerräumen zu. Er machte kein Licht. Der kleine Rest Helligkeit, der durch den Schacht bis nach hier unten fiel, zeigte ihm schemenhaft die Gestelle an den Wänden. Wie im Gewölbe in Akink, alles bereit für ein Gelage … Doch es war ihm unmöglich, sich Kunun betrunken und singend vorzustellen.
    Mattims Sinne waren bis aufs Äußerste gespannt und bereit, selbst auf das kleinste Geräusch, auf den leisesten Windhauch zu reagieren. Ihm war, als müsste er spüren, dass Magyria so nah war, nur wenige Schritte von ihm entfernt, aber da war nur der Geruch von Staub und feuchtem Stein.

    Er ging unter dem Türbogen hindurch und befand sich im nächsten Kellerraum. Er musste es nicht sehen, um es zu wissen. Dort standen mehrere große Öllampen - und der Käfig, den Atschorek den Flusshütern gestohlen hatte, die Falle, in der sie ihn gefangen hatte. Ein Schauder lief ihm über den Rücken, er mochte nicht in einem Raum damit sein. Schnell wandte Mattim sich wieder um. Was hatte Kunun über das Eintauchen in den Schatten gesagt? Es darf nicht leicht sein. Willensstärke braucht man und Konzentration …
    Es musste möglich sein, diese Öffnung zu durchschreiten, ohne nach Magyria zu gelangen. Sonst hätte Kunun niemals an seine Vorräte auf der anderen Seite herankommen können. Nein, irgendein bewusster Willensakt war nötig.
    Konzentriert richtete Mattim den Blick auf die Leere zwischen den Mauern und stellte sich vor, dass dahinter die Höhle war. Viel dunkler als der im Dämmerlicht halb sichtbare Keller. Eine Dunkelheit, greifbar, fühlbar, schwärzer als ein Schatten. Magyria. Denk an Magyria, an Akink, an den Wald, an alles, wonach du dich sehnst … Du musst sie warnen, du musst …
    Diesmal reichte ein Schritt. Ein Schritt, und die Dunkelheit schlug über ihm zusammen, als wäre er in den Fluss gesprungen. Eine Nacht, so tief und dicht, als könnte man sie fühlen und greifen und schmecken. Nach Stein roch sie, nach uraltem Gestein … und immer noch lag ein Hauch des strengen Raubtiergeruchs in der Luft, des Wolfes, der hier gewesen war, um ihn zu beißen. Wilder, schön und rot wie ein Fuchs und doch genauso erbarmungslos wie Atschorek.
    Er wandte sich erneut um. Dort lag die Schwelle zu der anderen Welt, ein einziger Schritt, und er würde wieder dort sein. Mit der Hand berührte er den Fels, die rauen Vorsprünge, suchte nach einem Zeichen, das er sich merken
konnte, um die Stelle wiederzufinden. Eigentlich hatte er, als er mit Hanna über die Pforte gesprochen hatte, nicht vorgehabt, die Höhle zu verlassen. Bloß herauszufinden, wie er hierhergelangen konnte, darum war es ihm gegangen, und er hatte auf eine Eingebung gehofft, wie sich eine Pforte, die weder Klinke noch Riegel oder Schloss besaß, für immer schließen ließ.
    Nun ging es allerdings um viel mehr. Er musste irgendjemandem Bescheid geben, einen Flusshüter finden, der die Nachricht überbrachte. Für einen kurzen Moment musste er den Schutz der Höhle verlassen. Nur ganz kurz, damit er zurück war, bevor Kunun merkte, was er getan hatte. Lediglich die Warnung weitergeben. Einen Augenblick lang das Gefühl genießen, zu Hause zu sein, sich nur einmal daran erinnern, wofür er kämpfte und wofür er ständig stark sein musste.
    Mattim tastete sich aus der Höhle heraus. Ein merkwürdiges Licht wies ihm den Ausgang, er wunderte sich, doch da stand er auch schon draußen im Schnee. Über den kahlen Bäumen hing ein dunkler, wolkenschwerer Himmel, gegen den das Weiß auf dem Boden tapfer anleuchtete, eine unberührte Schicht, weich und verlockend wie die Decke über einer schönen Frau. Vorsichtig setzte er die Füße hinein. In Budapest war der Schnee nass und schmutzig, nichts als graue Haufen am Straßenrand, hier dagegen war der Winter auf eine Weise feierlich, die ihn zutiefst berührte. Er hatte noch nie so viel Schnee auf einmal

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