Magyria 01 - Das Herz des Schattens
vielleicht sogar zuhören - falls er es schaffte, sie zu überzeugen, bevor sie sich dazu entschloss, die anderen Hüter auf ihn zu hetzen. Außerdem würde sie noch am ehesten Gehör bei seinen Eltern finden.
In sicherer Entfernung folgte Mattim den Fackeln und den Stimmen, holte aber nach und nach auf. Er huschte von Baum zu Baum. Das flackernde Licht warf genug Schatten, in dem er sich verbergen konnte. Immer näher arbeitete er sich an die Truppe heran. Ja, da ging Mirita. Ganz hinten. Ständig blickte sie sich um. Fürchtete sie etwa, er könnte sie anspringen, beißen und in einen Wolf verwandeln?
Er musste sie dazu bringen, noch weiter zurückzubleiben,
auf ihn zu warten … Das vereinbarte Zeichen, natürlich! Der Ruf eines Turuls. Sie hätten besser einen Ruf für die Nacht verabreden sollen, den Schrei einer Eule, allerdings würde es nichts bringen, verschiedene Tierstimmen erklingen zu lassen, wenn Mirita sie nicht als Zeichen erkannte.
Der Turul krächzte. Unzufrieden klang es, als hätte ihn jemand beim Schlafen gestört.
»Habt ihr das gehört?«, fragte einer der Wächter. »Wie unheimlich!«
Mirita drehte sich nicht einmal um. Vielleicht hatte es zu echt geklungen, womöglich glaubte sie wirklich, sie hätten mit ihren Fackeln einen Turul aufgeschreckt?
Mattim folgte dem Trupp weiter, zunehmend verzweifelt. Gerade als er sich überlegte, ob er noch einmal rufen sollte, kniete Mirita sich nieder, um sich die Stiefel fester zu schnüren. Sie hätte die anderen bitten müssen, auf sie zu warten, aber sie blickte der Patrouille hinterher, ohne etwas zu unternehmen. Sie starrte noch immer auf den flackernden Lichterschein, als er aus der Deckung trat.
»Mirita«, flüsterte er.
»Was willst du?« Langsam stand sie auf.
Nun, hätte er am liebsten gefragt, kein Pfeil diesmal? Und wann fängst du an, vor Angst und Entsetzen zu kreischen? Oder überlegst du gerade, wie du mich am besten in die Falle lockst?
Mattim schluckte seine Wut hinunter, es gelang ihm, ruhig und gefasst dazustehen, reglos wie der Schatten eines Baumes. »Hatten wir es nicht so abgemacht?«, fragte er zurück. »Dass ich komme und dir sage, was ich herausgefunden habe?«
»Und? Was hast du zu berichten?« Er hörte die Abwehr aus ihrer Stimme heraus. Mirita hob die Hand, als er einen Schritt auf sie zukam. »Hat es sich - gelohnt?«
»Kunun wird Akink angreifen«, sagte der Prinz und fühlte
sich unendlich erleichtert, als er es endlich ausgesprochen hatte.
»Wann?«
»Keine Ahnung. Leider weiß ich nicht, wann, und ich weiß auch nicht, mit wie vielen Schatten er kommen wird. Ich kann dir nicht einmal sagen, wie er den Fluss überwinden will.«
»Das ist recht wenig.«
Gleich wird sie die anderen rufen. Gleich wird das Geschrei losgehen. »Ich weiß. Ich tue, was ich kann, aber Kunun gibt so wenig preis. Es wird deutlich länger dauern, als ich dachte, sein Vertrauen zu gewinnen. - Bitte, Mirita, sag es dem König. Ihr müsst die Brückenwache verstärken. Ihr müsst alle Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Sobald ich den Zeitpunkt erfahre, werde ich ihn euch mitteilen.«
Sie stand steif da, eine einsame Gestalt im dunklen Wald, und sagte nichts. Bedankte sich nicht für die Warnung, lobte ihn nicht, sie entschuldigte sich nicht mal dafür, dass sie beim letzten Mal die Wächter auf ihn gehetzt hatte. Hatte er wirklich gehofft, sie würde ihn um Verzeihung bitten und versuchen, ihr Handeln zu erklären? Dieses Mädchen hier war längst nicht mehr seine Freundin, war eine Fremde, die zufällig dasselbe Ziel verfolgte wie er: alles für Akink.
»Bitte«, drängte er. »Bitte, Mirita. Lass es nicht umsonst gewesen sein.«
»Jeden Morgen, wenn wir nach Akink zurückkehren und ich mich zu Bett lege, weine ich mich in den Schlaf«, sagte sie schließlich, leise, als spräche sie nicht zu ihm, sondern in die Stille der Nacht. »Jeden Abend, wenn wir losmarschieren, in die Dunkelheit, zieht sich mein Herz zusammen, als wollte es aufhören zu schlagen. Diese Dunkelheit ist meine Dunkelheit geworden. Es hört niemals auf. Abend und Morgen und wieder Abend und Morgen … Immerzu ist es dunkel um mich. Das Licht kommt nicht mehr. Die Sonne wird nie wieder so aufgehen, wie sie früher aufging, hell
und strahlend. Und nie wieder werde ich das Licht in deinen Augen sehen, nie wieder …«
»Aber jetzt bin ich da«, sagte Mattim. So fremd kam sie ihm vor, wie sie von der Dunkelheit sprach. Mirita war kein Schatten geworden. Wie konnte
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