Magyria 01 - Das Herz des Schattens
ihr zustimmen, um den Preis, sie schon wieder zu verletzen? Wieder und wieder und wieder, bis sie so schwach und blass aussah wie Réka?
»Um im Licht zu leben, soll ich Böses tun?«, fragte er ernst. »Das kann nicht richtig sein. Ist das nicht dunkler als alles?«
»Mein Leben reicht für uns beide«, sagte Hanna. »Ich kann nicht glücklich sein, wenn du es nicht bist. Ich kann nicht im Licht leben, wenn du nicht bei mir bist. Daran ist nichts Böses. Wenn du es mir rauben wolltest, wenn ich spüren würde, dass du mich manipulierst und benutzt … Aber ich muss dich ja fast dazu zwingen. Das ist jetzt schon das dritte Mal. Immerzu muss ich dich überreden.«
Ihr Haar war so weich unter seinen Fingern. So weich
und glatt … so lebendig war alles an ihr, so wunderschön. Er konnte das Angebot nicht annehmen. Aber er hatte es bisher jedes Mal angenommen. Und er würde es wieder tun, das wusste er jetzt schon. Selbst wenn er sich dagegen auflehnte, wenn er sich wehrte gegen das, was er war und was er brauchte, er konnte nur wählen zwischen dem Leben am Tag und dem Leben in der Nacht.
Wenn ich dich früher getroffen hätte, bevor ich zu den Schatten gegangen wäre, dann hätte ich besser auf mich aufgepasst. Dort wärst du längst meine Lichtprinzessin und würdest mit mir in der Burg leben.
Wenn er kein Schatten geworden wäre, dann wäre er allerdings nie durch die Pforte gegangen. Und hätte ihr gar nicht begegnen können. Es hatte alles genau so kommen müssen. »Seelengefährtin«, flüsterte er, zugleich froh und ernst, und das Unglück verwandelte sich zurück in eine trunkenmachende Seligkeit. Herzgefährtin , dachte er, doch er sprach es nicht aus, denn er hatte kein Herz. Leibesgefährtin , wünschte er sich, aber auch das konnte er nicht aussprechen, ihre Lippen so innig auf seinen.
»Prinz des Lichts«, flüsterte Hanna.
»Ja«, stimmte er ihr zu. Dass sie an seiner Seite für das Licht kämpfte, war ein Geschenk, das er weder annehmen noch ablehnen konnte.
»Es ist meine Entscheidung. Ich gehe jetzt ins Bett. Dann sollst du mich beißen. Ich werde einfach einschlafen … Um meine Erinnerungen mach dir keine Sorgen, die hole ich mir schon zurück. Ich bin inzwischen ganz gut in der Übung.«
Er wandte den Blick schnell ab, als sie sich ins Bett legte und das kurze Nachthemd dabei hochrutschte, und entdeckte dabei den Brief, der achtlos auf dem Fußboden lag. Mattim bückte sich und hob den Umschlag auf. Zugeklebt. Nicht beschriftet. Es fühlte sich an, als wäre mehr darin als nur ein Blatt Papier.
Was hatte sie geschrieben, noch dazu so spät? Eine Nachricht an Kunun? Einen Abschiedsbrief für ihn?
»Das ist …?«
»Für dich. Nimm es mit, wenn du gehst. Ich habe eine Kleinigkeit für dich gebastelt.« Als hätte sie nie daran gezweifelt, dass er zurückkommen würde.
»Muss ich denn gehen?«, fragte er sehnsüchtig, als sie die Bettdecke über sich zog.
»Ja«, sagte sie. »Du musst. Wenn dich jemand hier findet, schicken sie mich zurück nach Deutschland. Du solltest übrigens nach Hause gehen. Zu Kunun. Das meine ich ernst, Mattim. Ich glaube, er hat tatsächlich eine Schwäche, und die sollten wir für uns ausnutzen.«
»Welche wäre das?« Mattim hatte keine Lust, jetzt über Kunun zu reden. Er setzte sich auf die Bettkante und strich mit der Hand ganz leicht über die Decke.
»Dein Bruder glaubt, er wird immer siegen. Also lassen wir ihn in dem Glauben, was meinst du?«
»Was immer du willst.« Er beugte sich vor und küsste sie. Der Kuss geriet nicht so sanft und unschuldig wie sonst. Stürmisch wie ein Märzgewitter überkam es sie, es war, als würden Blitze am Himmel auflodern und Regengüsse auf sie niedergehen. Es war, als wären sie die Herrscher des Sturms und würden sich gleichzeitig vor ihm verkriechen, immer näher aneinanderrücken unter der schützenden, kuscheligen Decke. Mattims Lippen glitten über ihre Wange, bis zu ihrem Hals. Hanna stöhnte leise, als er zubiss und der kurze Schmerz sie durchfuhr. Ihre Finger krallten sich in seinen Rücken, hielten ihn fest. Irgendwann lockerte sich ihr Griff, und ihre Arme fielen herab. Ihr Atem ging gleichmäßig und ruhig.
»Schlaf gut, meine Lichtprinzessin«, flüsterte Mattim.
Er küsste sie noch einmal ganz sanft, bevor er aufstand, den Brief vom Tisch nahm und ging.
FÜNFUNDZWANZIG
BUDAPEST, UNGARN
Mattim war so beschwingt, dass er ohne zu klingeln und darauf zu warten, ob ihm ein Vampir öffnete, einfach durch
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