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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Haarsträhnen hindurch blickte er nach oben, während er sich dem Haus näherte.
    »Attila wird es Mama und Papa sagen«, warnte Réka. »Dass er herkommt, sobald sie ausgehen.«
    »Kannst du deinen Bruder in sein Zimmer zurückbringen? Und ihm sagen, dass ich gleich komme, um ihm vorzulesen, wenn er ganz brav ins Bett geht?«
    Réka grinste verschwörerisch. Wie froh und hilfsbereit sie werden konnte, wenn sie nur lange genug über ihren unvergleichlichen Kunun gesprochen hatte!
    Hanna öffnete die Tür und sah Mattim entgegen. Etwas war passiert. Sie merkte es ihm an, an der Art, wie er ihrem Blick auswich, wie er ging, zögernd, als wäre er der Überbringer einer schlimmen Botschaft.
    Auf der Schwelle blieb er stehen und schaute sie an, mit so viel Liebe und so viel Hunger in den Augen, dass sie schon glaubte, sich getäuscht zu haben. Aber als sie ihn umarmte, spürte sie wieder, dass irgendetwas nicht stimmte.
    »Komm in die Küche«, sagte sie. »Réka ist bei Attila, ich möchte nicht, dass er dich sieht. Lass uns leise sein.«
    »Du kannst nicht weg?« Sogar das Sprechen schien ihm schwerzufallen.
    Auf einmal wusste sie, was er ihr sagen wollte. Er war in Magyria gewesen. Er konnte nach Hause gehen, wann immer er Lust dazu hatte. Zu ihr war er nur noch gekommen, um sich zu verabschieden.
    Ihre Hände zitterten, als sie Wasser aufstellte.
    »Ich mach uns einen Tee. Was Heißes gegen den Winter da draußen.«
    Als wenn er das gebraucht hätte! Aber ihr tat es gut. Die heiße Tasse in den Händen zu halten. Ihn anzusehen, wie er da am Tisch saß, wie er unruhig die Finger verdrehte und sich darin vertiefte, als wäre er bloß hergekommen,
um hier zu sitzen und seine Fingernägel zu betrachten. Sie beobachtete, wie er über seine Abschürfungen strich, vorsichtig, als würde es immer noch wehtun. Wartete, dass er sprach.
    »Du hast die Zahl gefunden?«, fragte sie schließlich. »Es wirkt wie eine Jahreszahl. Sagt dir das was?«
    Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht … er ist vor ungefähr hundert Jahren nach Budapest gekommen.«
    »1902? Natürlich. In einem sechsstöckigen Gebäude gibt es keine 9 im Fahrstuhl.« Sie taten beide, als gäbe es kein größeres Rätsel als die vier Ziffern. Irgendwann hielt Hanna es nicht länger aus. »Bist du durch die Pforte gegangen?«, fragte sie bang.
    »Ja.« Mattim nickte, dann riss er den Blick von seinen Händen los und wandte sich ihr zu. Wie grau seine Augen waren, grau wie der wolkenverhangene Himmel über der Stadt, der viel näher als sonst wirkte, fast so nah, als könnte man ihn anfassen. »Ja, das bin ich. Es war ganz leicht. Ich bin einfach durch die Pforte gegangen. Ich war in der Höhle. Danach war ich noch im Wald. Auch drüben liegt Schnee. Viel mehr Schnee als hier. Mehr, als ich jemals gesehen habe.« Gleich würde er es sagen. Jetzt -
    »Hanna, Kunun hat gesagt, dass er Akink angreifen wird. Ich denke, es wird bald geschehen.«
    »Bist du sicher?« Noch erlaubte sie sich nicht, erleichtert zu sein, über etwas, das ihm unendlich großen Kummer bereiten musste.
    »Ich habe meinen Eltern eine Warnung zukommen lassen.«
    »Du hast mit jemandem gesprochen? Drüben, auf der anderen Seite? Haben sie denn nicht versucht, dich anzugreifen?«
    »Mirita war da.« Er zwang den Namen mit Gewalt über seine Lippen. »Wir waren früher zusammen in der Wache.«

    »Sie hat dir geglaubt?«
    Hanna versuchte, sich diese Mirita vorzustellen. Vielleicht eine alte, grauhaarige Soldatin mit einem strengen, wachsamen Gesicht. Oder eine schwarzhaarige Kriegerin mit Pferdeschwanz, in einer schimmernden Rüstung, die Befehle bellte. Vielleicht …
    »Sie hat mich geküsst.« Sobald er es ausgesprochen hatte, wurde Mattim etwas lebendiger. Er beugte sich über den Tisch und legte seine Hände um ihre, sodass sie nun gemeinsam die Tasse hielten. Eindringlich redete er weiter. »Es hat nichts zu bedeuten. Wir hatten damals abgesprochen, ich würde ihr durch den Ruf eines Turuls Bescheid geben. So habe ich sie dazu gebracht, auf mich zu warten. Damals hatte ich ihr gesagt, wenn sie das Gefühl hat, dass ich auf die andere Seite übergewechselt bin, soll sie mich töten, und sie musste ja überprüfen, wer ich bin, und …« Seine Stimme erstarb. Bittend, geradezu flehend, schaute er Hanna an, wartete auf ihre Reaktion.
    Die Gedanken fuhren Karussell in ihrem Kopf. »Dann habt ihr euch früher also ständig geküsst«, sagte sie. »Mirita wollte daran erkennen, ob du noch der

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