Magyria 01 - Das Herz des Schattens
am Arm und führte sie hinaus.
»Es ist bloß eine Geschichte«, verteidigte sie sich, als Farank sorgfältig die Tür hinter ihnen schloss. »Ich dachte nur … So wie früher. Bloß eine Geschichte zum Einschlafen.«
»Nicht diese«, sagte er. »Ich wusste gar nicht, dass du sie kennst. Nicht diese. Versprich mir das.«
Ihr ruhiger, klarer und zugleich herausfordernder Blick ließ ihn aufseufzen. »Bitte«, forderte er. »Merkst du denn nicht, dass Mattim das Unheil geradezu anzuziehen scheint? Er wird zu ihnen gehen.«
»Mattim? Nie im Leben!«, protestierte sie. »Unser Sohn ist treu. Er beklagt sich nie über den Dienst bei den Flusshütern. Mattim würde alles tun, um die Stadt zu schützen.«
»Ich will nicht, dass er uns hört. Komm.« Der König führte seine Gemahlin weiter, weg von Mattims Tür, die Treppe hinunter und in den Galeriesaal. Ein einziges Bild hing dort an der Wand, ein Porträt - Mattim, die Arme vor der Brust verschränkt, ein trotziges Lächeln auf den Lippen, mit dem er den Betrachter herauszufordern schien. Der junge Prinz hatte es gehasst, gemalt zu werden.
»Elira«, sagte der König sehr ernst, »gebe das Licht, dass niemals der Tag kommt, an dem wir dieses Bild von der Wand nehmen müssen. Aber damit es nicht passiert, müssen wir sehr vorsichtig sein. Es steht auf Messers Schneide. Eine falsche Bewegung und er ist verloren. Und mit ihm ganz Akink.«
»Du tust ihm Unrecht, wirklich.« Die Königin weigerte
sich, es zu glauben. »Unser Sohn liebt uns. Er liebt diese Stadt. Mattim ist ein guter Junge. Von allen unseren Kindern ist er vielleicht sogar derjenige, der mir am meisten Freude macht. Er gehört dem Licht. Eines Tages werden seine Kinder das Licht in dieser Stadt verstärken, und eine neue Zeit wird anbrechen. In mir ist so viel Hoffnung, Farank. Warum siehst du nur so schwarz? Weil Mattim der Letzte ist? Ich kann verstehen, dass du Angst hast …«
»Sie ziehen ihn zu sich«, unterbrach Farank. »Und wenn wir nicht gut auf ihn aufpassen, wird er zu den Schatten gehen. Ich sehe es in seinen Augen, ich sehe es, wenn wir über den Wald sprechen und über die Wölfe.«
»Das glaube ich nicht. Mattim liebt Akink genauso wie wir.«
»Deshalb wird er sich einreden, dass er es für Akink tut. Er wird sich den Schatten ergeben und dabei auch noch glauben, dass er es mit ihnen aufnehmen kann.« Der König verzog das Gesicht. »Unser Sohn muss lernen, sie zu fürchten und zu hassen, oder er ist verloren und wir mit ihm.«
»Aber … er hat heute einen Wolf getötet. Was verlangst du denn noch?«
»Dass er es tun kann, ohne es zu bedauern.« Farank strich ihr abwesend eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wenn er das nicht kann, Elira …«
»Mattim hat ein mitleidiges Herz. Ist das so schlimm? Wäre es dir lieber, wenn er kalt und herzlos wäre?«
»Mit diesem Feind darf man sich kein Mitleid erlauben. Ja, es ist schlimm, wenn es einen dazu verleitet, zu zögern und alle in Gefahr zu bringen. Es ist schlimm, wenn unser Sohn es nicht fertigbringt, zu gehorchen. Beim Licht, er muss endlich lernen, zu tun, was man ihm sagt. Wenn er immer eigene Wege geht, wohin wird das führen? Es werden irgendwann nicht mehr unsere Wege sein.« Farank seufzte leise. »Elira, ich weiß, dass Mattim ein großes Herz hat. Da ist etwas in ihm, das die anderen nicht hatten. Ich
bin mir nicht sicher, ob es eine Stärke oder eine Schwäche ist. Der Junge kämpft nicht gerne. Er würde nie freiwillig auf die Jagd gehen, so wie … wie der andere. Er liebt nicht nur Akink, sondern auch den Wald und sogar die Wölfe. Mattim liebt Wesen, die seine Liebe nicht verdient haben, die jeder andere fürchtet.«
»Ist das denn schlimm?«, fragte Elira zum zweiten Mal.
»Schlimm?« Farank lachte. »Meine Liebe, das ist das Licht! Es ist so stark in ihm, manchmal fürchte ich sogar, dass es ihn verbrennen wird. Du musst mir nicht sagen, dass er stark oder etwas Besonderes ist. Das weiß ich doch. Ich sehe ihn an und weiß es, und in solchen Momenten möchte ich ihn festhalten und nicht mehr loslassen, damit er die dunklen Wege nicht entdeckt, die vor ihm liegen. Wenn er die Wölfe liebt, wie soll er da ihrem Ruf widerstehen? Elira, wenn jemand wie Mattim zu den Schatten geht, wird eine Dunkelheit über uns kommen, die schlimmer ist als alles. Jemand wie er, der so hell strahlt, wird finsterer werden als jeder andere unserer Feinde. Er wird furchtbarer werden als alle vor ihm, gefährlicher als die Wölfe und
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