Magyria 01 - Das Herz des Schattens
was auch immer benutzen - wie könnte das kriegsentscheidend sein?«
»Die Schatten können durch diese Höhlen auftauchen und verschwinden, richtig?«
»Das ist nichts als ein Verdacht.«
»Angenommen, er bestätigt sich. Die Schatten fliehen also durch irgendeinen Geheimgang oder was es auch ist. Vielleicht«, er zögerte, »liegt dort sogar der Zugang zu ihrem Schattenreich. Ihr Eingang nach Magyria.«
»Aber die Schatten kommen nicht aus einem eigenen Schattenreich«, widersprach Mirita. »Sie stammen von hier. Sie sind Magyrianer, die von den Wölfen gebissen wurden. Sie sind Untote!«
Mattim strich sich mit den Fingern übers Kinn, eine Geste, die er unbewusst von seinem Vater übernommen hatte.
»Die Toten haben ihre eigenen Geheimnisse«, sagte er. »Vielleicht verstecken sie sich in den Höhlen vor dem Licht? Dann kriegen wir sie. Wenn sie durch diese Höhlen verschwinden, müssen wir sie nur verschließen, damit sie nicht zurückkehren können. Dann sind wir frei von ihnen.«
»Bleiben noch die Wölfe.« »Ja, die Wölfe. Wenn keine Schatten in den Wäldern lauern, können wir ganz anders gegen die Wölfe vorgehen. Wir werden sie ein für alle Mal von hier vertreiben.«
»Ach, Mattim. Die Wölfe werden einfach neue Leute beißen und sich ihre Schatten selber machen. Wir müssen kämpfen, weil wir nicht aufgeben können, doch einen endgültigen Sieg wird es nicht geben. Nur eine endgültige Niederlage. Und da willst du herkommen und die Welt retten? Warum du? Weil du ein Lichtprinz bist? Sei mir bitte nicht böse, aber deinen Geschwistern hat das auch nicht viel genützt.«
»Sie haben genauso gekämpft wie ich«, entgegnete er.
»Wenn ich mich verkrieche, damit mir ja nichts passiert, wer wäre ich dann? Ein Feigling und Drückeberger. Könnte ich dann noch von mir behaupten, auf der Seite des Guten zu stehen?«
Er hatte Recht. Allem, was er sagte, musste sie aus ganzem Herzen zustimmen. Trotzdem zwang sie sich zu sagen: »Mattim, wenn wir dich verlieren, was würde es uns nützen, die Schatten los zu sein?«
Seine Felsaugen musterten sie verächtlich. »Ich dachte, wir wären Freunde. Haben meine Eltern dich so lange bearbeitet, bis du umgeschwenkt bist, oder bist du mir böse, wegen deines Beins?«
»Nein, Mattim, ich …«
»Dann also meine Eltern. Ich dachte es mir schon fast. Was haben sie dir versprochen?« Er ließ den Blick durch ihre kleine Kammer schweifen. »Geld? Eine Beförderung bei den Flusswächtern? Was?«
Dich. Deine Mutter hat mir dich versprochen. Wie hätte sie ihm das sagen können? So, wie er sie ansah, würde es sowieso nichts mit ihnen beiden werden. Der Schmerz schnürte ihr die Kehle zu.
Mattim stand auf. »Verräterin.« Er hatte die Hand schon am Türriegel, als sie eine Entscheidung traf.
»Warte! Mattim, bitte warte! Na gut. Ich rede mit ihnen. Ich tu, was ich kann, damit sie dich wieder rauslassen.«
Er stand im Schatten, und immer noch tanzte der Glanz der Wellen auf seinem Haar und über sein Gesicht. Doch das war nichts gegen sein Lächeln.
»Ich wusste es. Auf dich kann man sich verlassen.« Er schenkte ihr dieses Lächeln wie ein geheimnisvolles Päckchen zum Geburtstag, die Hoffnung darauf, dass sich darin weitaus mehr befand. Sie sah noch, wie er sich an ihrer verdutzten Mutter in ihrer schmalen Stube vorbeidrängte; ein Luftzug verriet, dass er den Weg nach draußen selbst gefunden hatte.
»Mirita?« Ihre Mutter stand im Türrahmen; ihr Gesicht sprach Bände. »Das war Mattim.«
»Ich weiß.«
»Der Prinz.«
»Mutter, ich weiß!«
»Was wollte er bloß hier? Warum kommt er her?«
»Ich bin in der Flusswache.« Mirita bemühte sich, geduldig zu bleiben. Sie verstand sich eigentlich ganz gut mit ihrer Mutter, aber es wäre ihr im Traum nicht eingefallen, zu Hause davon zu erzählen, was sie für Mattim empfand. Aus diesem Grund hatte sie nicht einmal erwähnt, dass sie seit einiger Zeit in derselben Schicht Dienst hatten. Sie fürchtete, sich zu verraten, wenn sie seinen Namen auch nur aussprach.
»Ging es um dein Bein? Erhältst du eine Entschädigung?«
Mirita seufzte. »Ich weiß nicht, wie viel ich bekomme«, antwortete sie leise.
VIER
BUDAPEST, UNGARN
»Wie wäre es, wenn du Hanna die Stadt zeigst?«
Réka reagierte auf die freundliche Bitte ihres Vaters, indem sie genervt die Augen verdrehte.
»Ja, ich denke auch, das wäre eine gute Idee.« Mónika lächelte aufmunternd.
Réka machte ein bitterböses Gesicht, während sie sich
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