Magyria 01 - Das Herz des Schattens
gnadenloser als der Jäger.«
Die Königin wischte sich über die Augen. »Du machst mir Angst.«
Der König des Lichts schloss die Arme um seine Gemahlin. Sie legte ihre Wange an seine Brust.
»Ich kann das nicht ertragen«, flüsterte sie. »Ihn auch noch zu verlieren … Ich will nie, nie wieder ein Bild von der Wand nehmen und einen Namen vergessen müssen. Jedes Mal ist ein Teil von mir gestorben … Er wird kämpfen, Farank. Ich glaube fest daran. Mattim wird sich nicht ergeben. Er wird die Schatten bekämpfen. Unser Sohn wird stark genug sein.«
Der König hielt Elira noch immer fest, den Blick auf das Bild gerichtet, das letzte Porträt an der Wand.
»Das muss er«, sagte er nur.
Die Flusshüter marschierten in einer langen Reihe, immer zwei nebeneinander, über die Brücke und dann am Ufer entlang. Man konnte sie vom Fenster aus sehen, obwohl ihre grünen Gewänder mit der Umgebung nahezu verschmolzen. Erst als sie abdrehten und in den Wald traten, verlor man sie ganz aus dem Blick.
Mirita seufzte.
»Bitte verzeih.« Mattim wies auf ihr Bein. »Du bist jetzt wohl eine Weile außer Gefecht gesetzt, wie?«
»Es wird schnell heilen. Es tut ja nicht einmal weh«, log sie. »Und du, wie kommst du klar?«
Sie hatte nicht erwartet, dass er sie in ihrem kleinen Zimmer besuchen würde. Von ihrem Elternhaus aus hatte man einen Blick auf den Fluss, der dem von der Burg aus in wenig nachstand. Wenn das Wasser nach heftigen Regenfällen stieg, reichte es fast bis an die Hausmauer. Als ihre Mutter den Prinzen hereingeführt hatte und dabei verwundert die Brauen hochzog, fühlte sie, wie ihr Herz wild schlug. »Steht es so schlecht, dass du die einzige Flusshüterin besuchen musst, die noch in der Stadt ist?«
»Ich halte es keinen Tag ohne dich aus.« Er lachte. »Nein, Scherz beiseite. Mein Vater lässt mich nicht über die Brücke. Ich habe keine Ahnung, wie lange er das durchziehen will. Aber ich lasse mich nicht in meiner eigenen Stadt zum Gefangenen machen. Kannst du nicht …?«
»Ich?«, fragte Mirita. Es schmerzte immer noch ein bisschen, dass er über die Vorstellung gelacht hatte, sich nach ihr zu sehnen. »Was soll ich denn tun?«
»Du könntest mit meinen Eltern reden und ihnen versichern, dass du mich jetzt für vernünftig genug hältst und man mich wieder hinauslassen kann.«
»Du meinst, auf meine Meinung würde irgendjemand etwas geben? Abgesehen davon, du bist doch gar nicht vernünftig geworden. Jedenfalls nicht vernünftiger als gestern.«
»Bitte, Mirita, du bist meine einzige Hoffnung«, schmeichelte Mattim. »Ich halte es nicht aus, hier eingesperrt zu sein. Ich habe die ganze Nacht nachgedacht, über die Schatten, die du gesehen hast. Wenn sie sich so nah an Akink heranwagen können, ohne zu vergehen, steckt mit Sicherheit mehr dahinter. Es widerspricht einfach allem, was ich bisher dachte. Oder dem, was man uns immer gesagt hat.«
»Du lässt nicht locker, wie?« Mirita fand seine Überlegungen alles andere als unvernünftig. Sie waren hier etwas auf der Spur, etwas Wichtigem. Das Jagdfieber packte auch sie. »Meinst du, es hat etwas mit den Höhlen zu tun? Sie sind doch leer?«
»Das behaupten alle. Überprüft haben wir es noch nicht.«
»Oh, nein.« Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf. »Oh, nein, nein, nein.« Schuldbewusst erinnerte sie sich an die Unterredung mit der Königin. »Du darfst die Stadt nicht verlassen. Falls doch, darfst du dich nicht von den Flusshütern entfernen. Und vor allem darfst du nie, nie allein durch den Wald.«
»Jetzt hörst du dich schon an wie meine Mutter.« Ärgerlich verzog Mattim das Gesicht.
Mirita streckte die Hand nach ihm aus und ließ sie wieder sinken.
»Könnte es nicht sein, dass sie Recht hat? Dein Leben ist zu wertvoll, um es für eine fixe Idee zu riskieren.«
»Hör auf, so zu reden!« Er wandte sich schon zur Tür, aber dann besann er sich und setzte sich ihr gegenüber aufs Bett. »Lass das. Es geht nicht um mich. Es geht um Magyria. Wenn wir eine Möglichkeit finden würden, die Schatten zu vertreiben, würden wir nicht nur Akink retten, sondern das ganze Königreich. Es wäre ein für alle Mal vorbei.«
»Und wie«, begann sie, »sollen die Höhlen …« Das Licht spielte in seinem Haar. Der Fluss warf den glitzernden Schein durchs Fenster, und über Mattims Gesicht schienen
Wellen funkelnden Lichts zu gleiten. Sie schloss kurz die Augen, um sich zu konzentrieren. »Mattim, selbst wenn die Schatten die Höhlen für
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