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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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etwas in ihm zum Schmelzen brachten. Endlich umschlang er sie, drückte sie an sich und küsste ihre nassen Wangen.
    »Warum weinst du?«, fragte er leise, immer noch wie jemand, der aus einer tiefen Betäubung erwacht und nicht begreift, dass der Schmerz, den er fühlt, sein eigener ist.
    »Um Akink«, flüsterte sie. »Und um dich. Nun bist du ganz umsonst ein Schatten geworden. Für nichts!«
    Hanna spürte seinen Mund auf ihrem Haar, auf ihren Augen, auf ihren Lippen. Eine Weile hielt er sie nur fest, doch schließlich sagte er: »Wir müssen gehen. Jetzt.«
    »Und wenn du nicht gehst?« Sie klammerte sich an ihn, ließ ihn nicht aufstehen. »Wenn du einfach nicht hingehst. Wir könnten fliehen, irgendwohin. Wo Kunun uns nicht finden wird. Bitte, geh nicht, Mattim, bitte!«
    »Ich muss«, sagte der Prinz. »Wir wussten beide, irgendjemand wird für diese Fragen bezahlen müssen. Es ist gut, dass es nicht Réka ist. Ich glaube auch nicht, ich hoffe nicht, dass es um dich geht. Es wäre nur leichter, wenn man wüsste, dass man für den Preis etwas bekommen hat, das sich gelohnt hat.«
    »Für nichts«, flüsterte Hanna, »für nichts und wieder nichts willst du hingehen und dir antun lassen, was immer er dir antun will?« Sie mochte es nicht aussprechen, aber es lag ihr nun schon so lange auf der Zunge, dass sie nicht anders
konnte. »Dein Bruder kann dich töten, Mattim. Sag mir jetzt nicht, dass du sicher bist, weil du ein Schatten bist. Kunun kennt einen Weg, ganz bestimmt. Wenn er es wollte …«
    »Ich weiß«, sagte Mattim. »Aber wenn er mich umbringen will, kann er das jederzeit. Dazu müsste er mich nicht zu sich bestellen. Was immer er auch vorhat, er kann es tun, wann er will. Ich kann mich nicht vor ihm verstecken. Er könnte jederzeit hier aus der Wand heraustreten und auf mich losgehen.«
    »Geh nicht zu ihm!«, flehte Hanna. Trotzdem. Auch wenn alles stimmte, was Mattim sagte, änderte es nichts daran, dass sie es nicht ertrug, wenn er freiwillig in die Arme seines Henkers marschierte.
    Mattim lächelte. »Es ist eine Chance«, sagte er. »Die einzige Chance, die ich noch habe, um meinem Bruder zu beweisen, dass ich ihm gehorche. Die einzige Chance, um in seinem Haus wohnen bleiben zu dürfen. Die einzige Chance, in der Nähe des Kellers und der Pforte zu bleiben. Wenn ich jetzt fliehen würde, gäbe ich alles auf, wofür ich bisher gekämpft habe. Es wäre, als würde ich Akink aufgeben und im Stich lassen.«
    »Dann hast du Akink also noch nicht aufgegeben?« Seine Augen. Flussgrau, steingrau, himmelsgrau. Vielleicht waren sie auch akinkgrau, vielleicht lag in ihnen die Widerstandsfähigkeit einer uralten Burg und einer ummauerten Stadt, heimgesucht und dennoch immer bereit zum Kampf.
    »Nein«, sagte er leise. »Und das werde ich auch nie.«
    Leere Worte. Nichts als leere Worte. Er klammerte sich an einen Traum, der längst zerplatzt war, und tat immer noch so, als könnte alles gut ausgehen. Obwohl sie nichts mehr hatten. Keinen Plan, keine neuen Ideen. Wie Bettler, mit leeren Händen und frierenden Füßen. So fühlte Hanna sich: frei fliegend im Nichts, als hätte jemand bei einem
Weltraumspaziergang das Seil zum Raumschiff durchtrennt.
    Sie seufzte.
    »Komm«, sagte er. Es war nicht Kununs sanft lockende Stimme. Und doch war sie bereit, dieser Stimme bis in die tiefsten Abgründe der Finsternis hinein zu folgen.

EINUNDDREISSIG
    BUDAPEST, UNGARN
    Als sie mit Mattim durch die Hecke schlüpfte und auf der Straße anlangte, sah Hanna Réka vor dem Tor stehen. Das Mädchen machte keinerlei Anstalten zu klingeln oder aufzuschließen. Sie stand nur da, wie eine Fremde, die sich fragte, ob es hinter den erleuchteten Fenstern des Hauses vielleicht Liebe und Wärme gab.
    »Réka?«
    Wie viel hatte Kunun ihr genommen? Blass wie ein Gespenst sah sie aus, und doch lag ein Lächeln auf ihrem Gesicht, als hätte sie einen wunderschönen Traum gehabt.
    »Du hast die Tüte vergessen«, bemerkte Hanna, um irgendetwas zu sagen, etwas Alltägliches, um nicht laut zu schreien. »Ich habe sie mitgenommen, nur damit du es weißt.«
    »Was für eine Tüte?«
    Réka wusste nicht mehr, dass sie einkaufen gewesen waren. Nicht einmal das. Sie wirkte auch nicht, als wüsste sie, wie sie hierhergekommen war.
    »Wir müssen los«, sagte Mattim leise.
    Hanna drückte für Réka auf die Klingel. »Geh nach Hause«, sagte sie nur. »Deine Mutter ist schon da. Ich bleibe nicht lange weg, sie soll sich keine Sorgen

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