Magyria 01 - Das Herz des Schattens
würde. Warum habe ich nicht daran gedacht? Sie kann ihn immer und überall finden. Er musste sich nur irgendeinen Platz aussuchen und auf sie warten. Dein Bruder hatte es gar nicht nötig, Réka zu suchen. Ich wette, er hätte Márias Wohnung nie im Leben gefunden, und wenn wir dort geblieben wären …«
Mattim hörte ihre Stimme wie aus weiter Ferne. Es war von vornherein vergebens gewesen, Kunun und Réka auseinanderbringen zu wollen. Er hatte nie eine Chance gehabt. Réka würde ihr Blut für die Stadt opfern, und er hatte sie Kunun gebracht, sie ihm sozusagen auf einem silbernen Tablett serviert …
Er spürte kaum, wie Hanna ihn umarmte, wie sie ihn küsste, wie sie immer wieder flüsterte: »Ich hab versprochen, sie zu beschützen. Ich hab versprochen, ich pass auf sie auf. Was tun wir denn jetzt, was sollen wir bloß tun?«
Die Welt drehte sich immer noch … Mattim war, als würde der Engel gleich auf sie herabstürzen wie ein Adler auf seine Beute.
SIEBENUNDDREISSIG
BUDAPEST, UNGARN
»Nun«, sagte der junge Prinz, »bleibt mir nur noch, eins zu tun. Ich werde nach Magyria gehen und mich ihnen entgegenstellen.«
Hanna schüttelte den Kopf. »Nein, nein! Nein, Mattim. Wir müssen Réka suchen. Wir müssen es verhindern. Wir rufen die Polizei oder irgendjemanden, der uns helfen kann. Gib nicht auf!«
»Wer sagt denn, dass ich aufgebe?« Ein bitteres Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Sie werden über mich hinwegtrampeln müssen, wenn sie zum Fluss marschieren. Solange ich noch in der Lage bin, aufrecht zu stehen … Aber Kunun wird Réka opfern. Die Schatten werden auf die andere Seite gehen und über den Fluss. Akink wird fallen. Sie werden beide verloren sein, um die wir gekämpft haben - Réka und Akink.«
Hanna schaute ihn an und sagte: »Mattim. Du musst die Pforte schließen. Lass die Schatten nicht mit Rékas Blut in den Adern über den Fluss gehen.«
»Die Königin wird nicht kommen«, sagte er. »Niemand wird die Pforte schließen. Es gibt keinen Weg, um die Schatten aufzuhalten. Nur den einen, nämlich Réka zu retten, bevor Kunun ihr Blut hat.«
»Wenn wir es nicht schaffen, sie zu finden, musst du es noch einmal versuchen. Du wirst deine Mutter dazu bringen, und wenn nicht sie, dann deinen Vater. Wir müssen bloß schnell sein, schneller als sie. Versprich mir, dass du es versuchen wirst!«
Er nickte, langsam, mit einem Ernst, der ihr verriet, wie wenig Hoffnung bestand und wie groß seine Entschlossenheit war, es trotzdem zu tun. Bis zum Ende wollte er kämpfen - aber dies durfte noch nicht das Ende sein! Noch nicht!
»Wo wird dein Bruder sie hinbringen?«, fragte Hanna. »Mattim, du musst doch irgendeine Ahnung haben! Wo? Wird er sie in Magyria beißen und die Vampire dort ihr Blut trinken lassen? Am Fluss? Oder hier? In seinem Haus am Baross tér? In einem anderen Haus? Bei Atschorek? Irgendwo draußen? Dort, wo er dich ins Wasser gestoßen hat, wo er ungestört ist?« Sie fasste ihn an den Schultern und zwang ihn, seine Aufmerksamkeit ihr zuzuwenden. »Mattim, wohin?«
Der Prinz erwiderte ihren Blick. Er sagte nicht, dass es zwecklos war. Er sagte auch nicht: Es spielt keine Rolle, ob wir ihn finden. Wenn wir ankommen, wird er längst mit ihr fertig sein. Vielmehr dachte er nach.
»Nicht in Magyria«, sagte er schließlich. »Die Gefahr ist zu groß, dass mein Bruder von den Flusshütern gestört wird. Außerdem ist Réka vielleicht zu verwirrt, wenn sie in die andere Welt gelangt, und könnte sich in ihrer Angst weigern, ihm ihr Blut zu geben. Er wird mit ihr irgendwohin fahren, wo er völlig ungestört ist. Zu einem Haus. Oder sie bleiben im Auto, an einem Ort, wo es einsam ist.« Er drückte ihre Hände, fest. »Dann fahren wir zu jeder dieser Stellen, wo sie sein könnten. Zu Atschoreks Haus und zum Baross tér. Auf die Insel. Wir werden die beiden finden, Hanna.« So schnell verwandelte Mattim sich von jemandem, der am Boden zerstört war, in jemanden, der ihr Halt gab. »Hab keine Angst, wir finden sie.«
»Wir müssen gleich zur richtigen Stelle fahren«, sagte Hanna. »Oder wir kommen zu spät. Wir kommen ganz bestimmt zu spät …«
Der Junge forschte in ihrem Gesicht, in ihren Augen.
»Sag du es mir«, forderte er sie auf. »Wo ist Kunun? Wenn irgendjemand es wissen kann, dann du. Er hat dich gebissen …«
»Aber danach wieder sie! Immer wieder sie! Ich kann ihn nicht finden!«
»Du musst«, sagte Mattim. »Mein Bruder hat sich dein Leben einverleibt …
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